dann fielen wir aus der zeit

manchmal schreibe ich mich ins nirgendwohin und der regen wischt es weg. aber heute morgen war es sehr klar, ich suchte im traum nach möglichkeiten, das perfekte zu widerrufen und dem ideal abzuschwören,  der selbstoptimierung als ziel und zweck.

ich meine die entwicklungskraft kommt von woanders.

stattdessen die seite der schwächen, der risse und spalten, des unsicheren vorantastens und der halbherzigkeiten, des gänzlich unnützen und unproduktiven, der trauer zum beispiel, die selbst im gehen, im halben lächeln sich zeigt  ich liebe das unfertige, das die zeichen davon trägt, wie es gemacht wurde.

ich bin kein leninist, merke ich, sondern ein anhänger des sinnlosen aufstands, der halbfertigen sätze, des anklangs und des fragments.

es gibt kein halbes verständnis, sagst du. aber ich erkenne im ersten schritt auf eine verborgene wahrheit zu einen reichtum. wenn keiner sinnlos anrennt  gegen die grenze, und ihre endgültigkeit verneint und scheitert, dann gäbe es den reichtum nicht, den funken im versagen, den beginn einer ahnung, wie es sein könnte.

und gleichzeitig, ich gebe es auf. ich desertiere und bewege mich zwischen allen fronten, unentdeckt, und wenn ich erwischt werde beim sammeln von wahrheitsfetzen hier wie dort, auch beim feind, so spiele ich den harmlosen verirrten.

das ist der grund für mich,  von neuem zu beginnen, nachts überschreite ich die grenze und bewege mich im niemandsland, im nowhere und rede mit den toten über die sterblichkeit und die schönheit im unvollkommenen, im schmerz und verlust. nachts betrachte ich den riss, der in allem ist, die verbeulten und geschundenen dinge und richte mich ein im durcheinander.

Ich habe mich schon immer gerne verirrt und in labyrinthen nach dem ausgang gesucht, ich drehe mich im kreise, um vorwärts zu kommen.

heute vor zwei monaten hat marie z. zu atmen aufgehört … entstand eine stille, die sich ausweitet und an stärke gewinnt. erst in den geräuschen der welt nehme ich sie wahr.

ich sage ja nicht, dass die stille perfekt ist.

gerade heute spüre ich fetzen von zorn und missbilligung, nichts persönliches, einen hilflosen zorn, der nicht kraftlos ist. manchmal wurde marie z. wütend und meinte nicht mich, sondern die männer allgemein und was sie sich herausnahmen seit unerdenklichen zeiten, die imaginierte weiblichkeit. aber sie meinte auch mich, das unpersönliche in mir, die  spuren der männlichen herrschaft in mir. sie wusste, wovon sie dann sprach.

marie z. war nicht die perfekte frau, über den ausdruck hätte sie gelacht. ich liebte sie wegen allem, sie hatte stellen in sich, die waren gebrochen, wunden, die sich nicht schlossen. wir stiessen an ihren kanten zusammen und ihre schwächen zeigten  mir die eigenen. es gab einen unaufgelösten rest und eine komplizierte schönheit. eine wärme und eine kälte, eine fülle von nicht vollendetem, die mich anzog.

manchmal sah sie auf den grund meiner zerbrochenen seele, dann fielen wir aus der zeit.

4 Gedanken zu “dann fielen wir aus der zeit

  1. treffend!
    maloo-marie ist spürbar
    eine gute spur
    geht sie noch weiter?
    ich erinnere mich an das erste mal
    sie sagte: ich freue mich, dich kennenzulernen
    thed hat mir soviel von dir erzählt.
    ich war berührt und sprachlos.

    Gefällt 1 Person

    1. „eine gute spur
      geht sie noch weiter?“,
      fragst du.
      ihre spuren enden im dickicht: es war.
      keine dornen, nur schmerz und ich betrete es nicht, die wehe wand stoppt mich.
      jeder weitere schritt unerträglich, es drückt mir die luft ab, sobald ich denke: es war einmal mit ihr.
      so halte ich mich an bilder von ihr, mit denen ich mich umstellt habe. ich schaue und fahre mit dem finger den konturen nach, aber nicht zu fest: in den erinnerungen ist sie nicht.
      wo ist sie: jetzt.
      ich sehe bilder einer schönen frau, die einmal war.
      ich sage das, eindringlich, sonst hole ich das telefon und rufe sie an, so denke ich manchmal, ruf sie doch an und …
      du siehst das unmögliche daran, die zone, die ich umkreise, aber nicht betreten will.
      demnach: was ist jetzt. gibt es eine art von gegenwärtigkeit, egal welche bin ich schon geneigt zu sagen.
      ich weiss nicht, was leute mit ihren erinnerungen haben: jetzt, nur jetzt, ich will kein vor sich hin murmelnder alter sein, verloren in den räumen des nie mehr.
      also: das gegenwärtige: da sitzen, sprachlos, nur die schwere, die auf den grund hinunter zieht. ich rühr mich abends manchmal nicht, horche nicht einmal in die stille, ich sitze da und sinke schweigend, stumm gemacht. kein bild, keine vergangenheit. und langsam, ganz allmählich steige ich wieder auf, aber anders, und in dem auftrieb spüre ich sie.

      T.

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      1. noch deutlicher, noch mehr jetzt

        abends der überfall der stille. in mir schiebt etwas sich beiseite, etwas trennendes. die lust am beschäftigen ist vorbei. gehn wir ins kino, lesen wir was, vielleicht etwas trinken und die antwort ist jedes mal nein.

        da sitzen.

        der wind fegt ums dach, im haus ist es still. das meiste ist getan. zuerst kam die angst, ich bin allein und deprimiert, eine schwere decke von trauerstoff. mehr noch, vor schwere in den boden sinken.

        alles gerät ins stocken, hält an und schweigt.

        im ofen knistert das feuer. das ist neu, dass ich mir die mühe mache. ins feuer schauen, die wärme kommt langsam zu mir her. den roman kann ich nicht zu ende lesen, er lenkt ab von der schwere. es gibt kein wort dafür, das passt.

        sie war doch eben noch da. ich beginne sätze, in denen sie da ist, und bleibe nach zwei wörtern stecken. ich könnte …der impuls, sie anzurufen und zu erzählen, dass es ohne sie unmöglich ist. dass ich am liebsten mit ihr ins feuer schaue, die flammen lecken am holz und zehren es auf. die fantasie hilft nicht, die erinnerung schmerzt, in allem, was ich tue. ich kann nicht glauben, dass sie nie mehr kommt und mit mir redet. der wunsch ist brennend. désir wäre das bessere wort, désir ist feuerbrand.

        die spur geht weiter, werde ich gefragt und ich sage, sie verliert sich in allen erinnerungen, denn dort ist sie nicht, sie war, das ist die grenze.

        sie lebt in der erinnerung weiter. das wäre eine daseinsform und keine. natürlich spüre ich die wirkungen ihres lebens und andere wohl auch, das muss nicht bewusst sein.  ich bin eingewickelt darin. das verstehe ich wohl. vor allem möchte ich es jetzt spüren. dazu die schwere, der man sonst lieber ausweicht. nun ist sie ein vehikel.

        ich bin nicht weise geworden, weil sie weg ist. ich bin nicht weniger hitzköpfig und ertappe  mich in alten rankünen. erinnerung genügt mir nicht, ich brauche das gegenwärtige, das netz, in das ich eingewoben bin, mit ihr, am besten jetzt.

        die bilder sprechen von einer frau, die es nicht mehr gibt, ich habe sie sehr gut gekannt.  im regal ihr profil porträt aus anfangszeiten. das schöne junge wesen, stelle ich fast sachlich fest und betrachte sie so lange, als würde ich sie nicht kennen. ich weiss alle dinge in dem raum, in dem ich mich aufhalte, und sie kannte sie auch, nun geht es mir mit ihnen wie mit ihr.

        vermissen tu  ich eine welt.  gesichter, gesten, stimmen zu verschiedenen zeiten und selbst das gut gelebte tut weh, vielmehr, das endgültig vorbei. solange sie lebte, war alles erfahrene mit ihr gegenwärtig. nun war auch das.

        ich fühle mich ausserstande, in erinnerungen wie in fotoalben zu kramen, erinnerst du dich, da waren wir … ich sehe nur, das ist nicht mehr und wird nicht mehr sein.

        hingegen: was jetzt.  wieviel von ihr. wieviel im alleinsein. wieviel in der einsamkeit. wieviel erfüllte gegenwart.

        da muss ich schon tief sinken.

        auf den grund.

        dann: auftrieb.

        das ist sie.

        soviel ahne ich.

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