das geöffnete fenster

zu dem geöffneten fenster hinaus erblicke ich erstens einen sich schon rot orange färbenden ahorn und zweitens dahinter den Liquidambar. ein auto rauscht vorbei. es ist neun und noch kühl draussen. fast könnte man auf herbstanfang schliessen, dabei hat es bisher einen verregneten sommer gegeben. ich sage nicht, dass das unangenehm war. ein mensch mit einer seltsamen apparatur geht um die häuser, es ist ein techniker von creos, der elektrizitätsfirma. man lebt in einer elektrischen zivilisation, ohne elektrizität läuft hier garnichts mehr. der mann grüsst und betritt den zwischenraum zwischen haus und hecke, als er wieder heraus kommt, sehe ich, dass er von creos ist, so steht auf der apparatur. jemand niesst sehr laut, eine elster keckert, nochmaliges niessen, fernes rauschen, ein flugzeug wohl, niessen zum dritten mal, sonst ist es still.

ich habe zwar die zeitung angeblättert, bin aber bei einem sommerloch bericht über leute, die mithilfe des metalldetektors explosives zeug aus dem letzten weltkrieg sammeln, hängen geblieben. gestern wurde der jahrestag der atombombenabwürfe begangen. alles gesehen und nichts gelernt, so sieht es aus. S. postet auf fb den titel eines buches des atomzeitalter philosophen Günther Anders. wenn heute ein politiker, prâsident, autokrat die begriffe moral und ethik in den mund nimmt, hüben wie drûben, so kann man nur den kopf schütteln. die ethische entwicklung hinkt so sehr hinter der technologischen hinterher, dass man aus dem kopfschütteln nicht mehr heraus kommt. die eu oberen by the way scheinen aus einem älteren comic entsprungen zu sein. so unwirklich erscheinen sie. oder ist es ein slapstick. nicht nur die eu oberen.

man ist das, was man gerade wahrnimmt ( eine nette behauptung, nicht wahr), also in meinem fall ein sammelsurium von âusseren impulsen, bildern, worten, sogenannten nachrichten, meinungen anderer, eine kakophonie von gerede und appellen und aussagen. der ganze brei bedeutet im endeffekt garnichts, beschreibt nichts, erklärt nichts, hellt nichts auf, eher im gegenteil er verdunkelt wie auf einem alten gemälde die szenerie, die man noch halbwegs erraten kann.

eine taube gurrt, das ist mal eine abwechslung.

bei geschlossenem fenster gibt es keine anderen geräusche als das tastaturgeratter und das geräusch beim aufheben und niedersetzen der cafétasse und das schlucken. der café schmeckt wunderbar, rund, kakau geschmack und wenig azidität. die andern bewohner haben längst das haus verlassen, der reinigungsdienst ist weggefahren. Jeff Beck ist gestorben und Eric Clapton hat auf der begräbnisfeier geweint. das entnehme ich einem kurzen blick auf mein tel.

die halbe familie ist unterwegs, die einen am südmeer, die andern an der nordsee. die dritte partei ist noch zulande. ich habe die neuesten nachrichten von den enkelkindern. warum schreibe ich sowas auf. als würde ich nach jedem strohhalm greifen, um nur nicht nach innen schauen zu müssen. ist es dort leer, gibt es sorgen, beschäftigt dich irgendwas mehr als anderes, wo bist du dran. ich bin neuerdings etwas zerstreut oder bin ich so beschäftigt, dass ich mir dinge vornehme und dann anderes in den blick kommt und ersteres vergessen wird.

das genre der japanischen wohlfühlliteratur ist mir wieder in die hände gefallen mit einer „convenience store“ geschichte (so genannt in der englischen übersetzung, die bedeutung reicht von lebensmittelladen über nachbachschaftsladen zu 24stundengeschãft), in der bisher alle zu sich und ihrer aufgabe gefunden haben. einige der figuren agieren wie im katholizismus die untere hierarchie der engel (schutzengel genannt). ich kann mich nicht mit der verbesserung der englischkenntnisse herausreden. aber ich mag nun mal keine überhitzte spannung wie in westlichen thrillern, police novels (wie denn, wo denn, was denn: krimis, mein lieber) oder sogenannten gehobenen romanen mit beziehungsproblemen oder problemen überhaupt (die hauptsächlichen, die üblichen, die modischen, die unlösbaren, bei manchen problemen ist die problemstellung das eigentliche problem, bei andern die rahmung, die exklusion von parametern, weil man dahin nicht schauen will oder weil das nicht gesehen werden soll/ das ist die moderne litanei). weshalb ich nur ausnahmsweise krimis lese. neuerdings einen enttäuschenden, weil geschwätzigen martin walker oder den allerletzten Camilieri, der eine missratene spielerei ist, friede seiner asche. nur ausnahmsweise verirre ich mich in den labyrinthen aktueller lit., insbesondere der deutschen. aber gewiss nicht der wohlmeinenden, meinungsschweren, moralsäuerlichen.

ich werfe mir vor, mich viel zu schnell zu langweilen. aber wenn man sich eine dosis wirklich stark geschriebenen stoffs zugeführt hat, ist die langweile unvermeidlich. ich meine mit dem starken stoff einblicke in die natur der sogenannten realität.

das heutige gedicht auf dem lyrik blog passt mir gerade in den kram. es sei deshalb hierher gesetzt:

An die Freunde

Ihr, Lieben, Trunkenbolde, Zeterer, lausige Schimpfer, Maulhelden, Knallköpfe, Süßschnaufende, Zyniker, Zweifler, ihr Melancholiker jenseits des Mondes, wie konnte ich versäumen, euch zu besingen? Hier bricht alles zusammen, ihr aber sagt: Wir haben die gesellschaftsfeindliche Absicht, nachzudenken, wie mich das freut. Daß ihr aber die gesamte, beschissene Popmusik nicht mögt, bis auf die Talking Heads, gefällt mir besonders, ihr Irren.

Kornelia Koepsell

(beim einfügen ging die vers- und strophenform verloren, aber das ding behält auch so seine kraft)

damit ist für heute der ton gesetzt.

„you are headed where?

I have no idea.“

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