in der letzten zeit wende ich mich den farben zu und nicht nur, weil ich das unnachahmliche frühlingsgrün liebe, ja, heidnisch verehre als elegante gottheit des neuanfangs, sondern weil die nachrichten mich dazu treiben und in mir eine unbändige sehnsucht nach kräftigen farbnuancen wecken. natürlich, ich gebe es sofort zu, ist es auch eine abwendung, eine recht trotzige, von den täglichen katastrophen, den alarmistischen medienzündungen, der ambulanten panikmache (als ob die jemals ein problem gelöst hätte). ich gebe auch sofort zu, dass die AI geschichte eher besorgniserregend ist, eine blackbox, von der niemand weiss, was in ihr vorgeht und es besteht kein plan und nach welchen kriterien man entscheidet, wann eine maschine selbstbewusst wird und ob sie nett sein wird (was unwahrscheinlich scheint) und wie man sie nett macht (das sind überlegungen aus der community). ich habe mit Baer auch über meine jüngste lektüre geredet, die bücher von Ogawa Ito in der fr. übersetzung, in denen nur die kleine welt vorkommt, mit ihren kleinen problemen, liebe, krankheit, beziehung, schmerz, leiden und freuden des alltags, der kleinen lebenswelt, nicht der grossen, keine geostrategischen überlegungen, nicht die frage, wie der krieg beendet werden könnte (uups, das will man doch, oder doch nicht, oder nur nach wiedereroberung von… oder auf kleiner flamme (wenn das denn ginge, denn leute sterben, werden verletzt und ihr leben zerstört) immer so weiter, bis zum letzten …) ganz abgeshen davon, dass solche überlegungen überhaupt nicht politisch korrekt sind, sie kommen in den romanen von Ogawa auch gar nicht vor. der tod hingegen schon und das leben und die kleinen dinge und die nuancen davon, und die sorgfalt und bewusstheit im umgang mit ihnen.

also ich habe Baer davon erzählt und erwartet, dass ich des weltabgewandten kitsches erdächtigt werde, also mein gesamtes leben ein einziges kitschdebakel ist, weil auch ich in zunehmender abneigung vor irgendwelchen denksystemen und gesamtüberzeugungen (was man einmal weltanschauung genannt hat) mich einfachen freuden hingebe, wie zum beispiel der, noch am leben zu sein und zu gehen, zu weinen, zu lachen und zu staunen über jeden kleinen fitzel, der ein wunder ist.

Baer sagt zuerst nichts, dann kommt eine anständige beichte, denn, so sagt er, er sei vor kurzem in der bahnhofsgegend in einem kleinen lokal in einer seitenstrasse eingekehrt und habe dort zu mittag gegessen, einfach, ordentlich und mit guten zutaten, die bedienung sei nett, die atmosphäre habe ihm das gemüt, das recht nahe am boden war, erhoben, denn an den wänden hing farbiges, kräftiges, blumen und leute darstellend, nicht realistisch, verspielt und abseits der grossen probleme, ja, in einer zone ausserhalb. ihm sei aufgegangen, dass er einiges an der aktuellen art von problemkunst, à la bewältigung der grossen krisen, unnötig, ja langweilig finde, weil ihm, das sei seine bescheidene und unerhebliche ansicht, die nachrichten völlig genügten, ja, übergenügten, weil er mit der sortierung und einordnung und bewertung genügend beschäftigt sei, er müsse diese problem- und krisenverdopplung nicht haben. ihm genüge die problematik, wie man einigermassen heiter in der multiplizität der krisen bestehen könne und da sei ihm die farbenwelt der ihm unbekannten artistin gerade zurecht gekommen. er sei heiterer gegangen, als er gekommen sei. das spreche eindeutig für die bilder.

ich war paff, denn ich hatte mir von Baer eine tirade über kunst und kunsttheorie erwartet und eine verurteilung meiner jüngsten eskapistischen tendenzen, inklusive der vorstellung, mich an eine einsamen ort zurückzuziehen und gelassen der dinge zu harren, die kommen würden.
Baer machte dann eine anmerkung zu meiner anmerkung über die AI entwicklung und sagte in der substanz folgendes, alle werden weiter machen, denn, werden sie sagen, die andern werden weiter machen und wir können uns in diesem wettlauf keinen rückschlag leisten und sie werden das mit gebührend argumenten untermauern, neue weltordnung, rüstungswettlauf, china, russland, indien undsoweiter. dass niemand weiss, was das bedeutet, also niemand die risiken abschätzen kann und das, was in dieser blackbox vor sich geht, wird bestimmt minimisiert, herunter geredet. „wir“ haben noch immer getan, was wir tun konnten, wenn es machbar war, haben wir es gemacht. die büchse der pandora ist kein mythos.

wir haben uns auch, bei einem espresso am bekannten ort, über den krieg und die propaganda drum herum unterhalten. Baer ist äusserst skeptisch. die aesthetik, wenn man denn von aesthetik reden kann, der machtinszenierung auf der anderen seite gibt natürlich zu grosser beunruhigung anlass wie auch die nachrichtenlage hier und das gerede über kriegsziele und erst die geleakten dokumente. interessant dabei die frage nach der authentizität des geleakten und das gerede wiederum darum und nun das gesicht des leakenden, das präsentiert wird. auch das statement im britischen parlament einer äusserst mutigen abgeordneten, das auf „die levetiten lesen“ hinaus lief.
man braucht, sagte Baer vor unserem aufbruch, kräftige lebensbejahende farben in diesen gequälten zeiten.

Bilder von B. Hoffmann in der Casa Fabiana. diesen bildern verdanke ich die anregung zu den obigen anmerkungen.