sowas wie eine vorläufige bilanz

das leben ging weiter, der schmerz ging mit. man wird nicht kleiner dadurch, man wird auf das angemessene mass gestutzt. tabula rasa. man greift zögerlicher nach neuem. ist tatsächlich etwas neues gesagt oder nur das alte, etwas heraus geputzt. man weiss wenigstens, wo nichts neues zu finden ist.

soll das eine bilanz werden? (ich rede mit jemand, der nicht im raum ist). nein, es geht um die frage, was hat man dazu gelernt. man sagt nichts mehr, worüber man nichts weiss. man sagt lieber man als ich. man diskutiert kaum noch und bricht ab, wenn es nur noch um rechthaben geht. und das tut es neuerdings meistens; viele haben meinungen, die stehen wie betonklötze in der landschaft herum. man diskutiert nicht mit beton. zuhören geht noch immer und nicken auch, keine zustimmung, aber: ich habe dich gehört. wenn einer ansichten hat, kann er auch mal recht haben. „well meaning is not enough“. man ist nicht mann, sondern sie, er, es, wir, sie (mehrzahl), vielleicht. „ich weiss es ja selber nicht“, sagte jüngst ein mensch zu mir. ich gehe der eigenen empörung aus dem weg und gelange lieber zu klaren gedanken. manchmal kommt mir mein reden als schwäche vor, schweigen ist vorzuziehen, aber nicht in jedem fall.

das gespräch mit ihr fehlt mir seit fünf jahren. sie mochte austausch, nicht hingegen die diskussion von meinungen. es ging ihr darum, den besseren gedankengang zu finden. immer mehr ging es ihr um stille.

Immer öfter, wenn wir durch den wald gingen, also jeden tag, sagte sie oder ich, vielleicht sollten wir schweigen. das vermisse ich auch, das schweigende gehen unter bäumen. wir redeten nicht über das wetter, ausser wenn wir die koffer packten.

wie oft habe ich mir gesagt, dass ihr tod den tisch abgeräumt hat. sagen wir es so, der tod bringt gedanken auf den punkt, auch ganze welten davon. er relativiert nicht bedeutung, er annihiliert sie. ich muss nicht mehr reden, um herauszufinden, dass etwas nicht stimmt. das alleinsein brauche ich, es ist keine einsamkeit. manches sagt sich nicht, sondern erschweigt sich. das schweigen ist ein erfüllter raum. es sind nicht nur nachklänge ihrer stimme. ich mag lebensweisheiten nicht besonders, erfahre aber gelegentliche einsichten. mein lieblingszustand ist vor allem anderen die stille, danach die schweigende berührung.

manchmal wehre ich mich dagegen, dass ich in die gegenwart geworfen wurde, widerwillig. zukunftsvorstellungen sind doch wichtig, sage ich mir. aber die gegenwart dehnt sich immer weiter aus und ich komme mit meinen wahrnehmungen, gefühlen und gedanken fast nicht mit. ich bin beschäftigt, tue allerdings nicht viel. am liebsten sage ich, ich tue garnichts. das garnichts kann ein nagel sein, der gerade in die wand geschlagen wird, um ein bild daran zu befestigen. eine klangfolge, auch eine alltägliche, erfordert ganze aufmerksamkeit. es gibt orte, an denen mich das bedürfnis überfällt, mich sofort zu entfernen, gelegentlich auch leute. feiern scheint mir angebracht, gerade auch bei wintersonnenwenden. weihnachten allerdings weckt bei mir einen fluchtreflex. ich bin zwar anwesend, aber in gedanken bin ich am vergleichen. ohne sie ist es nicht mehr das wahre. ich gehöre dazu und entferne mich gleichzeitig. es ist zeit für einen spaziergang, sage ich mir und sofort erblicke ich sie in ihrem langen wintermantel, der etwas soldatisches hatte.

mit ihr war man immer unterwegs.

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