„menschen, die sich selber als nebenfiguren betrachten“*

man ist doch wie vor den kopf geschlagen. man hat gedacht, krieg das ist der aus den geschichten. aber gerade der ist noch gar nicht so lange her. jedenfalls dachte man, es ist der letzte, wenigstens hier vor der tür. hauptsache, so dachte man heimlich, nicht nochmal vor der tür.

und dann regen sich die va-t-en-guerre.

dass mit atomwaffen gedroht wird, hat man schon gar nicht für möglich gehalten.

man hat sich auch nicht wirklich für den osten interessiert. man hat gar keine ahnung, wie es in ungarn, rumänien und polen ist. man hat das nur vom hörensagen. die sind rechts, das hört man, die wollen nur das EU geld, sonst weiss nichts. man weiss auch, dass die dividenden von Rheinmetall, dem rüstungsgüter produzenten um 60 prozent gestiegen sind. es wird also spekuliert, auf den tod und die zerstörung. wie man auch hört, dass die jüngsten preissteigerungen keinen ökonomischen, sondern einen spekulativen charakter haben.

sonst sieht man zu. man ist ziemlich fassungslos und sieht zu. ausser, dass man auch verstehen will. natürlich wünscht man sich lösungen. aber man wünscht sich auch die gründe zu verstehen. man möchte schon wissen, wie die verantwortlichkeiten verteilt sind. wenigstens das wünscht man sich.

man weiss nicht, wie es weiter geht.

man findet nicht, dass die Russlandpolitik des westens, des sogenannten, ein erfolg ist. man hat keine ahnung von russland, ausser dass der osten des ostens nicht so gut dran ist, das weiss man aus der lektüre eines reisebuchs von jemand, der tatsächlich dort war und einen aufmerksamen blick hat.**

die nachrichten abends sind eine zumutung. nicht weil man sie nicht hören will oder in seiner gemütlichkeit aufgestört ist, sondern weil ein ton hysterie und propaganda hereinspielt.

jemand sagt, wenn man in Moskau oder St. Petersburg auf die strasse geht, ist man ein held.

nun ist alles anders, sagt Baer.

unwirklich, sage ich, hier ist es unwirklich. es sind nur bilder hier.

dort aber. flucht ist das schlimmste. nun werden städte plattgemacht. leute, die nicht mehr rechtzeitig fortkommen, umgebracht. kollateralschäden.

nicht nur Putins kriegführung ist brutal, sagt Baer.

kriegführung überhaupt ist brutal.

jetzt merkt man, sage ich, wie wenig man mit worten ausrichten kann.

wenn man die nachrichten vom kriegsschauplatz mitansieht, hat man den anschein eines tuns. man verfolgt gespräche im fernsehen. man liest alles, was einem unter die finger kommt. dann tut man wenigstens etwas.

das ist die neue lage und die neue lage ist ein geschichtlicher rückfall, sagt baer.

sagen sie doch was, sagt baer.

ich sage garnichts mehr.

stellen wir uns auf das schlimmste ein, sage ich. aber was ist das schlimmste.

ist es der beginn einer katastrophe.

für die leute dort ist es eine katastrophe, da beginnt nichts, da ist es voll im gange.

„männer, die geschichte machen“, mein gott, sage ich. lassen wir den lieber ganz aus dem spiel, sagt Baer.

das gespräch komm nicht vom fleck. der café hilft nicht. die sonne auch nicht. es ist kalt morgens. man übersieht fast die krokusse und die ostersterne. die angst geht um. es sind verrückte zeiten. die worte klingen hilflos. in der zeitung wird so getan, als habe jemand den durchblick.

gestern morgen haben wir meist geschwiegen.

Baer hat mir das Du angeboten. wegen allem und im besonderen unserem ausflug am meer. fast war mir das zu nahe. aber nähe, das bleibt uns doch. man denkt, da gab es doch mal ruhigere zeiten. die ruhigen zeiten liegen schon länger hinter uns. vor uns die unsicheren zeiten.

als wir auseinander gingen, haben wir uns umarmt.

*A. Kluge, Fontane, Kleist …S. 23

**Sören Urbansky, An den Ufern des Amur. Die vergessene Welt zwischen China und Russland.

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