immerhin bin ich umgeben von büchern, auf tischen, am bett, am boden neben dem tisch, gestapelt am regal. ungelesene, angelesene, weil es mich überkam, weil das lesen der ersten seiten mich schon überfordert, als habe ich gerade erst mühsam zu buchstabieren begonnen und in den pausen, die dabei entstehen, taucht ihr bild auf, eine erinnerung, eine angst, sie ist nicht da.
das buch lege ich weg, so achtlos, dass die achtlosigkeit weh tut, normalerweise würde es mir selber weh tun, ein buch so weg zu schieben.
doch was ist normal.
seit tagen meditiere ich die abwesenheit, die leere, versuche so über das weinen wegzukommen, hinaus zu kommen. aber ich weine nicht. nur manchmal erwischt es mich, wenn ich unversehens gegen eine erinnerung stosse, für einen augenblick steigt ein schluchzen auf und ich kann nicht reden, gleich werde ich losheulen und tu es doch nicht.
alleine kann ich nicht weinen. ich käme mir zu fremd vor, wer weint denn da und weswegen, ich würde über mich den kopf schütteln, was geht den an. was will der. ich müsste mich dazu zwingen.
nicht, dass ich etwas gegen das weinen hätte, manchmal, das spüre ich genau, bin ich kurz vor einem weinkrampf. ich kann nicht vor die tür, die strasse schmerzt, ich vertrage autos nicht, die leute hasten vorbei, das leben geht weiter, so sagt man doch. ich stehe verständnislos da und verstehe das leben nicht mehr recht.
den tod auch nicht. ich lese, für heidegger ist der tod, Ballmer, dessen bilder ich liebe fügt hinzu, sarkastisch, der tod ist nicht bloss, der tod tötet, er produziert leichname, die dem philosophen peinlich sind, c’est encombrant.
das verstehe ich allerdings sehr gut, das heisst, ich habe ihre leiche gesehen, oder genauer, ich habe die leiche gesehen, von ihr keine spur mehr? doch noch ein hauch von ihr, ich habe nicht gedacht, ich muss sie auf die stirn küssen, ich habe es getan, bevor der deckel auf die holzkiste gelegt und zugeschraubt wurde; das habe ich genau gesehen, wie einer schrauben in den sargdeckel dreht. die stirn der leiche war sehr kalt. ich habe auch die kalten starren hände berührt. ich weiss nicht, warum ich das getan habe.
freunde ich mich mit dem tod an?

ich meditiere die leere stelle, das nicht. das nicht mehr.
manchmal lenke ich mich ab, in der ablenkung taucht sie auf, in den intervallen, die notwendig entstehen, in filmen, die das leben preisen, denke ich an den tod. er taucht unversehens hinter einem baum auf, sitzt auf einer parkbank, ich meine nicht den knochenmann, nein, den nicht, ich sehe nur das ende.
manchmal denke ich, ich habe mich in eine böse geschichte verirrt. darin kommt der tod vor.
den tod gibt es wirklich. das sage ich mir nicht nur. ich habe es gesehen. er tötet, dann liegt eine leiche da. das begreife ich gerade noch. es ist kein traum, sage ich mir. sie ist nicht entschlafen, fort gegangen, nein, sie ist tot und ich bin leer.
ich versuche über das weinen, das unhörbare schluchzen, das heimliche wegwischen von nicht geweinten tränen hinaus zu kommen.
warum willst du das, frage ich mich. sie würde fragen, bei wem hast du das gelesen. es ist doch eine gute frage, antworte ich. ich habe noch nicht begonnen laut mit mir, mit ihr zu reden und selber die antworten zu sagen. aber es ist eine gute frage.
es ist nicht unser niveau, sage ich. es ist nicht das niveau des todes, deines todes. soweit ich das erleben konnte, war es nicht der tod, sondern wenigstens anfänglich deiner, er kam für dich. er war grösser als alles, er war dir über und kämpfen war zwecklos.
ich will über das weinen hinaus, das mich an der ecke, neben der litfasssäule an der kirche, kurz vor dem überqueren der strasse erwischt, ohne mein zutun, ich habe ein plakat betrachtet und das rot, das gelb, die welle, die melodie des wellenstrichs hat mich erschüttert, ich weiss nicht wie. nicht, weil es mir peinlich wäre, mitten im überqueren in tränen auszubrechen, aber ihr sterben war grösser, schuf etwas, das ich nun meditiere jeden tag, das nicht, die leere stelle, die stille dort und hier, die stille selbst im strassenrauschen unter dem fenster, sogar im aufheulen des maseratti motors unten am garagentor, sogar darin, das nicht.