wenn eine kultur zusammen bricht, dann ist das gemeinhin in den geschichtsbüchern nachzulesen. aktuell scheint man das phänomen in den usa beobachten zu können (das buch, an das ich gerade denke, werde ich mir nicht antun), aber dann sage ich mir, dort wird bloss der schleier vor der barbarei weggezogen.
(das ist gewiss ein ungerechtes urteil, denn ich weiss ganz gut, dass es inseln hoher kultur gibt, das andere amerika, das nicht in den schlagzeilen vorkommt.)
ungerecht werde ich, weil ich gerade den zusammenbruch einer privaten sechsunddreissigjährigen kulturblüte erlebe. wie schnell das geht, wie schnell geht ein gleichgewicht, eine ordnung in unordnung über, chaos breitet sich aus, weil der/die andere, die mit mir diese privatkultur, die ich immer als grosse welt empfunden und gedacht habe, unter spannung hielt, so dass sie funkelte in ihrer prekären schönheit (was konflikte, widersprüche und dissonanzen mit einschliesst), plötzlich verschwunden ist. Vor vierundzwanzig tagen, als das, was von ihr körperlich übrig war, es war nicht mehr viel von dem, was sie einmal war, vor meinen augen in die holzkiste gelegt wurde, wusste ich, das ist das ende und ich wusste es noch nicht.
Wie jede Kultur, so beruhte auch unsere auf einzelheiten, alltaggsverrichtungen, kleinen und grossen vereinbarungen, die wenigstens den anschein von ordnung und stabilität erweckten, es existierten sogar rituale, wenn veränderungen, gar umstürze fällig waren und von weitem sich eine revolution ankündigte, wie es sich für jede ordentliche kultur gehört. Sogar das unvorhersehbare hatte seinen platz, dem unbekannten gott gewidmet.
ich finde gar keine worte für das, was sich nun in mir und ausser mir abspielt. rette sich, wer kann. les invasions barbares, denke ich, die hunnen kommen, die teutonen und andere noch wildere völkerstämme, mongolensturm.
fassungslos stehe ich vor den trümmern, ich fühle mich ausserstande, diese kultur, dieses gemeinsame projekt aufrechtzuerhalten, wie sollte ich auch, ohne sie, ihre unglaublich lebendige, anspruchsvolle, schöne, strenge (was mein selbstmitleid anbelangt) grossherzige präsenz geht das gar nicht. wie sollte es und auch das wilde, fauchende, das sie zuweilen urplötzlich und zu meinem geheimen vergnügen, an den tag legte, war ein kulturelles faktum von höchster bedeutung, es würzte als möglichkeit den alltag und schasste die langweile, die jede stabilere kultur bedroht. und wie sie über die familie regierte, souverän und entschlossen, aber so, dass alle gewürdigt waren.
Ich hielt mich hier eher heraus, war zuschauer von ferne, überliess ihr gerne den vortritt, chaosmanagment war nie so meine sache. ich bin meist zu nah oder zu fern, wohne in extremen und habe genug mühe meine eigenen widersprüche zu verwalten.
und nun ist der schutzschild zusammengebrochen und ich fühle mich wie in star trek, deep space 9, die klingonen greifen mit einer übermacht an.

natürlich ist das lächerlich, eine kultur lebt von der individuellen färbung, unsere ganz gewiss und ich bin genauso diese kultur, wie sie es war, die nun geschichtsbuchreif ist in meiner persönlichen geschichtsschreibung. ich werde die angelegenheit studieren müssen, methode und flexible vorgehensweise, tricks und kniffe, vielleicht werede ich fremden göttern wenigstens nach aussen hin eine zeitlang huldigen müssen, um an mein ziel zu gelangen, den frieden im imperium zu wahren. paris vaut bien une messe, was kann ich, wo sind meine grenzen, schwächen in stärken verwandeln, der imperialismus ist ein papiertiger, wozu habe ich dialektik studiert, die geschichte der klassenkämpfe und Sun Tsu’s kunst des krieges.
im ernst, der psychologe, den ich gelegentlich stundenweise zu verwirren suche mit jeanpaulschen digressionen, lässt sich nicht aufs glatteis führen, er bringt mich höflich, zuvorkommend und bestimmt auf den punkt, den nagel auf den kopf, nägel mit köpfen zuerst, meinte in usnerer letzten sitzung, mein trauermarathon sei überzogen, die ansprÜCHE AN MICH SELBER viel zu hoch angesetzt, ich solle mir zeit lassen, ich hinterbliebener, überlebender einer untergegangenen kultur.
daraufhin habe ich aufgeatmet, die barabaren horden verschwanden vom schirm, der kapitän betritt soeben wieder die brücke, deep space nine, die nächste episode.