die kälte klärt meine gedanken, das gehen hilft sie auf den boden zu bringen, wohin fahren die alle, frage ich mich, es ist so eine seltsame unruhe dabei, aber sie scheint mir nicht begründet.
ich bin ja auch unterwegs, einem geldautomaten entgegen und denke, heute ist freundlichkeit übers kaufen vermittelt, das meiste fast, ich kaufe, also bin ich, jeder kauf bestätigt meine existenz und die verkäuferin lächelt dazu, ich meine, letztes mal, als ich hose und pullover kaufte, überredete sie mich zu einem weiteren „fühlen sie mal“ und als ich die weiche wolle in meinen fingern spürte, konnte ich dem sanften weichen hellgrauen nicht widerstehen und ihrem lächeln dazu, alle weiteren verführungsversuche scheiterten dann an meinem letzten rest verstand, ich kann schönen frauen fast nichts abschlagen, aber dann erschien in meiner vorstellung der niederschmetternde begriff verschwendung und die betörung wich von mir.
spätestens draussen, nach dem ersten rausch, vor der tür des geschäfts, hätte ich maries stimme gehört, brauchst du das wirklich, wirklich wirklich oder brauchst du einen trost, eine ablenkung, eine droge?
ich übe mich anschliessend meistens in Abwehrgefechten gegen mein schlechtes gewissen, das mich mit allem bekannten und angelesenen bombardiert, etwa (als kleine auswahl, beliebig erweiterbar): konsumrausch, kaufzwang, neurose, ersatzbefriedigung mit zerstörungspotential, fütterung meiner gefrässigen eitelkeit, hungerlöhne und krasseste ausbeutung, und die natur erst… mein schlechtes gewissen schmettert einwände wie – wenigstens schaut es gut aus, wenigstens im untergang noch die form wahren und ähnliche halbseidene ausreden – hohnlachend ab; ausgeprägte charakterschwäche, so heisst es dann, besitzanhäufung wegen katastrophalem misslingen der analen phase und ähnliche nettigkeiten (ebenfalls beliebig fortsetzbar).
mir bleibt nur noch ein klägliches rückzugsscharmützel, das nächste mal komm ich als frau, gutangezogensein ist eine weibliche überlebensstrategie und als solche gerechtfertigt, eine maskerade, eine fröhliche, zur machozähmung.
frag mich jetzt keiner, ob ich an reincarnation glaube. über meine existentiellen hypothesen rede ich nur mit geliebten, also nur unter sehr intimen umständen, wenn ich ganz wehrlos bin.
weswegen ich marie so vermisse. sie redete politisch incorrect und ich konnte meine verzweifelsten glaubensannahmen offenbaren, sie äusserte nur handfeste argumente und erschütterte gnadenlos hypothetische constructionen, ihr tod, den ich als unser intimstes erlebnis erfahre, gerade jetzt , hat mir, was diese dinge anbelangt, den teppich unter den füssen weggezogen, ich opfere nun jede hypothese fast freiwillig, wenn nötig.
die ausgefallensten bewahre ich mir unter meinen schätzen.
wie ist es, im ungewissen zu leben, in den nicht endenden fragen, im neubeginnen jeden tag, im scheitern, in der abwesenheit von antworten, in der schutzlosen öffnung, in der verletzlichkeit.
keine direkte antwort: heute morgen beim ersten gang in der kälte, wie gesagt, viele autos, rauschende unruhe, ein zögern auch, ein luftanhalten, betrachte ich alles mit interesse und neugier, die bewegungen an einer kreuzung, ein blick durch ein schaufenster auf einen anderen blick, eine sitzende gestalt an einem tisch, ein mann mit hund, am comic laden komme ich nur vorbei, indem ich komplizierte zauberformeln hersage, ich frage mich zur ablenkung, an welche form von reincarnation ich am liebsten glaube (ein zeitreisender, ein traveller, der nie ungeschoren davon kommt, ein ewiges chamäleon) und dann atme ich auf, die versuchung ist einigermassen heil überstanden, aber sie brennt noch und bis zum bäcker an der ecke bin ich höllisch frustriert und grantle, als ich mir sage, nein, kein weiterer espresso und dann hadere ich schon mit der kirche gegenüber und umrunde die litfasssäule im uhrzeigersinn, so will es das ritual. was für eine reiche schöne abwechslungsreiche welt, denke ich, welch wunderbare farben und gerüche und die kalte luft erst im gesicht und die menschen und überhaupt, vor der haustür begutachte ich die kleine schwarze plastiktüte, hat etwa ein hundebesitzer es gewagt…?, nein, die tüte ist leer und ich trage sie wie eine trophäe ins haus und rücke das geholte geld heraus, welche erleichterung am früheren morgen schon und habe ich was vergessen, ja, richtig, ein lächeln.
Hallo theo, das ist jedes Mal eine Augen wie Ohrenweide, hier zu lesen, da entwickelt sich ein Roman der Entfernten, und das Nahe wird von Ferne noch immer beobachtet, der Sprachrhythmus, die Intonation, die gute Sprache. Mein ausdrückliches Kompliment für die Umsetzung – vom Fehlen und Sein. Groß (ich musste das mal loswerden, auch wenn ich fürchte es könnte den Autor etwas aus dem Tritt bringen wie neulich beim Radfahren über das Geröll.) Beste Grüße, und gerne wieder!
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