dies ist kein gedicht

reflets tf

frage: ob man nicht besser (irgendeine art) gedicht schreiben sollte oder gleich ganz die schnauze halten. mit (lautem) reden tritt man gerne gleich in treibsand, die meisten hören das, was sie hören wollen. man legt grosszügig aus. man „interpretiert“. man setzt „in den context“ und findet immer jemand entfernten, ganz bösen, der auch solche sätze gesagt haben könnte. obwohl den betreffenden niemand kennt. und dann gerät die sache ins rutschen.

aber, es gibt immer ein aber. man muss doch, sagen sie, man kann nicht einfach. schweigen?

das schweigen. dafür möchte ich eine lanze brechen (es ist kein tournier, das weiss ich, es ist viel ernster). in der stille hört man genauer, man hört das ungesagte mit.

im tonfall tanzt die intention. aufeinmal hörst du an allem vorbei die lüge, die halbwahrheit, die auslassung. jemand ist hinter vielen worten ratlos, das hörst du auch.

was man in den letzten tagen hören konnte:

gespielte fassungslosigkeit

wunschrealität

aufrüstung

noch mehr gespielte fassungslosigeit

weiter so

noch mehr aufrüstung

schlaglöcher

gespielte begriffsstutzigkeit

aber wohin

ja wohin

apparition of a sinkhole

noch mehr davon

das grosse strategische loch (die entsprechenden wortanhäufungen darüber)`

ich denke an das wort geistige elefantenfalle.

jemand sagt, das hätten die sowieso machen müssen, das seien nur aushängeschilder, das sei einfach an der zeit denn: die seien erledigt. transatlantisch, meinte der (und zeigte gegen westen).

haben sie schon einmal gesehen, wie ein hund abzieht, mit gesenktem kopf und eingezogenem schwanz, fragt der nachbar.

oder war es Baer.

kann man sich sowas vorstellen? ich meine in der sogenannten menschlichen gesellschaft, in der sowas wie wahrheit, richtig knochenharte, steinharte wahrheit keinen hohen kurs hat. still zu sein.

das geht.

einfach die klappe halten. man muss, im gegensatz zum landesüblichen, nicht gleich, wie sagt man doch, stellung beziehen? im finnisch-sowjetischen krieg gab es einen sniper, der hat über 500 gegnerische soldaten reglos im schnee bei -40 grad liegend ohne visier auf dem gewehr erschossen und wurde nie selber erwischt. es gibt jetzt ein buch dazu: Olivier Norek: Les guerriers de l’hiver.

(vorsicht: schlagloch)

die stellung, wie man so schön sagt, ergibt sich in der stille lautlos. jüngst habe ich beim anhören eines interviewausschnittes sofort die lücke gehört, die längst in die front geschlagene bresche. strategisches ziel fiel mir dazu ein und realismus, abwesend, gähnende leere, seit jahren ununterbrochen eingehämmertes in kurzform. die leichte kruste von sicherheit, gewissheit und entschlossenheit, darunter der LAUTLOSE zusammenbruch einer illusion. wortreiche beschwörungen, ganze wortschwärme über die dächer der kleinstadt SEGELND , schnell , in östlicher richtung.

ich bin es müde, namen zu nennen. ICH LESE KEINE ZEITUNG FÜR ANDERE LEUTE. es hätte IRGENDein anderer die worte sagen können, abends im fernsehen sagten alle dasselbe, haargenau dasselbe, in mehreren europäischen sprachen.

zaghaft hebt einer die hand, er hat keinen namen, es ist irgendeiner, sein gesicht vergisst man sofort, er sagt: frieden möchte er; und er sagt einen schnellen, bitte. es klingt ganz einfach, normal eigentlich, als bestelle er einen espresso, einen doppelten.

ein gedicht schreiben, in dem gesagt wird, dass einer (mit namen) den frieden hier will und dort den krieg antreibt.

ich konnte nie verstehen, wie man menschenleben gegeneinander aufwiegt: einer gegen hundert, zweihundert, dreihundert?

jüngst gab es eine meldung, dass ein menschenleben auf 50.000 von einem gericht festgelegt wurde. das scheint mir äusserst preiswert. aber fassungslos bin ich nicht.

im krieg sinken natürlich die preise gegen null.

dass der zweig vor meiner nase noch immer gelb blüht und sein eleganter schwung, entzückend.

reflets 2 tf

three objects

What are three objects you couldn’t live without?

books, espresso, flowers (are not things)

inzwischen, mit vorbehalt

inzwischen scheue ich mit meinem geschreibsel die öffentlichkeit, inzwischen sieht der junge angesagte autor melancholisch aus, inzwischen ist das schreiben hier überhaupt jünger geworden. da möchte ich mich nicht einmischen. oder überhaupt damit in verbindung gebracht werden.

es geht keinesfalls ums schreiben, sondern ums sagen. was treibt einen an den tisch und warum klappt man den laptop auf. jeden morgen oder fast jeden morgen.

man müsse sich einfach dazu äussern, sagt Robert Reich und Carole Cadwalladr sagt: „it is a coup“. nicht nur sie sagt das im übrigen. früher sagte man nicht teufel, man sprach vom gottseibeiuns. man wollte nicht zutraulich werden. ich auch nicht, deshalb sage ich für mich, der „ichsagnichtwer“, es gibt mehrere von der sorte. auf keinen fall sage ich, wen ich meine. früher gab es solche auch und nicht nur in romanen oder in filmen. heute kommt man zur schlussfolgerung, einen solch schlechten film würde man nicht drehen wollen. schon bei dem blossen gedanken daran, stellt sich ein mulmiges gefühl ein. man könnte geneigt sein, sich aus rein ästhetischen gründen von dem phänomen zu distanzieren, ich meine nicht bloss den anblick, sondern vor allem die wörter, die zu vernehmen sind. dem andern, der ich auch bin, könnte es davon speiübel werden. aus politischen gründen wird man sich in einem gut und streng abgegrenzten rahmen damit beschäftigen wollen. man kann mit gründen annehmen, dass regel und gesetz oder verfassung kein reales hindernis mehr darstellen. man sieht nämlich eine ganz andere geistige anlage am werk.

es ist schon länger nacht und es regnet noch immer. das haus ist eingehüllt in regen. es ist eine hörbare hülle. sonst ist es still.

ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das geschriebene nicht löschen werde. ich kann mir vorstellen, den text bestenfalls unter entwürfe abzuspeichern. mir ist meine meinung auch für mich selbst viel zu persönlich. überhaupt zu viel. vielleicht denke ich heimlich, dass meinungen und ansichten furchtbar peinlich sind und nicht an die öffentlichkeit gehören.

ich gestehe, ich habe mir von einem LLM ein paar texte schreiben lassen, in der anweisung kam James Joyce vor, darunter mache ich es nicht, und ich habe gesagt, sowas wie im Ulysses, Bloomartiges und ich sah zu, wie sehr schnell – in windeseile – eine imitation generiert wurde nach dem zugrunde liegenden statistischen modell. eine plagiatmaschine demnach. ich habe mir garnicht erst den text zu gemüte geführt, sondern war eher geneigt, den Ulysses aufzuschlagen und darin zu lesen. nachher fragte ich mich im ernst, ob es nicht gescheiter wäre, meine zeit mit dem verstehen von Finnegans Wake und dem dilettierenden und unmöglichen versuch einer übersetzung von drei seiten in eine randsprache zu vergeuden, statt mit männern in schwarzen mänteln, die über leere plätze gehen oder in helikopter steigen und befremdliche texte generieren. was wird gerade hinter dem produzieren von wortsalat getrieben, frage ich mich natürlich auch. aber ich gebe zu, ich quäle mich damit.

es gibt nämlich albträume von ähnlicher qualität.

Ein freund hat mir die geschichte der „Herrschaft“ von Tom Holland geschenkt. die lektüre betrachte ich als eine art höherer zeitvergeudung. ich habe nichts gegen zeitvergeudung. neuerdings stelle ich fest, dass selbst die abgelegenste lektüre auf die aktuelle konstellation verweist. vielleicht kann man nun noch einige zeit einigermassen friedlich die endstufe eines imperiums in der realität studieren.

wie sprache verhunzt wird auch. auf den hund kommt. verhunzen scheint tasächlich etwas mit hund zu tun zu haben. ich bin kein hundebesitzer, kann mir aber lebhaft vorstellen, wie hunde einmal behandelt wurden („hunzen“ mundartlich: „wie einen hund ausschimpfen oder behandeln“, nach dem Duden). dabei möchte ich garnicht über aktuelles reden oder über sprache auf einer endstufe oder über politisches oder über putsche und staatsstreiche oder coups.

viel lieber würde ich über garnichts schreiben wollen oder über unerhebliches wie jüngst beim waldgang eine art moos von phänomenalem grün (polytrichum commune, auch goldenes frauenhaarmoos ) mitten unter all den schattierungen von braun und fahl. oder über die feuchte kälte im gesicht oder die sensation von überwältigender lebendigkeit beim anstieg eines hangs oder die stille zwischen buchen und kiefern oder über das rascheln des laubs unter den füssen oder über das vergnügen, dass die windungen des pfades garnicht mehr aufzuhören scheinen.

aus dem Merriam Webster : coup, „a sudden decisive exercise of force in politics and especially the violent overthrow or alteration of an existing government by a small group : coup d’état „. ich gebe das an, weil die übliche recherche im netz neuerdings so gemütlich anmutet (und , so lese ich, weniger ressourcen verbraucht als …).

eine junge marxistin meint in ihrem podcast, dass es beileibe nichts neues sei, wenn machthaber sich auf die seite einer besonderen kapitalfraktion schlagen. mehr als ihre thesen bewundere ich bei der jungen marxistin ihre analytische verve und ihren glauben an das theoretische instrument. ich finde blossen glauben nicht mehr gerechtfertigt. aber die schöne und also gewandte anwendung eines analytischen modells hat jenseits von allem glauben eindeutig eine ästhetische qualität.

andererseits, solange man sein fundamentales unbehagen an und in einer un-kultur noch zu äussern vermag. das ist dann doch noch etwas anderes als reine hilflosigkeit.

verspätete anmerkung: ich habe mich erst nachher gefragt, ob ich tatsächlich imstande wäre, angesichts der verhältnisse einen dermassen versnobt schnöseligen, vielleicht sogar unfreiwillig komischen text selbst -eigenhändig – zu generieren. don’t acte. nach meiner erfahrung handelt es sich um eine allergische reaktion.

otherworldly

ein wenig sonne, juni, frisch, die rosen schaukeln im wind.

was ich gemeint oder geglaubt habe? ich glaube nicht und meine nicht. ich drehe das radio nicht auf, um kleinlaute kommentare zu hören. ich kommentiere nichts. ich bin nicht in einer anderen welt aufgewacht. ich bin aufgestanden, habe die zähne geputzt und geduscht. danach habe ich café getrunken. ich habe nicht gekämpft und nicht verloren oder gewonnen. das wetter ist sehr wechselhaft, aber die rosen leuchten auch, wenn der himmel bedeckt ist. der peruanische café schmeckt interessant. ich bin nicht deprimiert wegen irgendwelchen ereignissen. aber die rechnung von vier geretteten menschenleben und fast dreihundert dafür ausgelöschten, darunter kinder, diese rechnung geht nicht auf. nirgendwo und nie.

das haus des nachbarn verschwindet hinter einem vorhang von grün und violett und rosa und rot und hellblau; man fühlt sich eingehüllt.

hingegen der vorhang vor der wahrheit … die getriebenen, die angeblich souverän die welt gestalten. früher sagte man, „männer, die geschichte machen“, was für eine das war, liest man nach in den entsprechenden büchern.

jemand sagt, ich spüre die unruhe der welt. hier gehen die geschäfte weiter. gewinn, verlust, gewinn, verlust. und das geschrei, das drama. wie in einem traumzustand. jüngst einmal stolperte ich in einem traumstück im finstern durch einen wald, man hörte nichts, nur geraschel und das meist von den eigenen füssen, fast kein licht und man navigierte blindlings zwischen bäumen und sträuchern über unebenheiten, keine angst, schliesslich setzte ich mich an einen grossen baum, den ich vorher abgestastet hatte, raue rinde, moos, flechten und wartete, bis ich meinte, es wird heller, die morgendämmerung, dachte ich und erwachte. es war noch dunkel, vom geöffneten fenster her ein sanfter luftzug. weder einschlafen noch wegrennen, auch nicht totstellen, bewusst bleiben. ich lag noch eine weile und bin dann wieder eingeschlafen. am morgen erstreckte sich der traum so deutlich vor mir wie irgendeine landschaft.

der grüne vorhang vor dem fenster ist in bewegung, schwirrt, flattert, windbewegt.

die rosen wiegen sich, rhythmisch.

sieht man, wohin der zug fährt? an der strecke geschlossene bahnhöfe. irgendwo im niemandsland winkt jemand von einem fenster aus. am rande der bahnstrecke eine wiese mit schwarzbunten kühen („kühe in halbtrauer“), hecken (der bocage normand war nach dem D-Day eine falle), einfahrt in tunnel und immer der gedanke an Dürrenmatts zug, plötzlich ist man nach innen verwiesen, keine aussenprojektionen mehr. im traum sitze ich fast allein im waggon. einmal kommt ein buntgekleideter mann vorbei, der mein billet kontrollieren will. ich sage, sie sind mir aber ein zugkontrolleur und er tischt mir eine unwahrscheinliche geschichte auf. er gehe bunt, das beruhige die passagiere. ausserdem habe er seinen vorgeschriebenen anzug in der waschmaschine verloren. er fragt, haben sie nach dem waschen noch nie eine socke vermisst? doch, sage ich kleinlaut. sehen sie, sagt der kontrolleur, der nicht aussieht wie ein kontrolleur, bei mir ist es ein ganzer anzug gewesen. ausserdem seien alle willig, er brauche nur zu sagen, ihr fahrschein bitte und die leute würden nicht einmal hinsehen. nur einmal bisher habe ein passagier angezweifelt, dass er der kontrolleur sei. er warte lieber, habe die frau gesagt. sie, sage ich. wer sie, sagt der bunte mann. die frau, sage ich, sie ist eine sie. woher wissen sie das, sagt der kontrolleur. ich musste ihm rechtgeben. heutzutage ist das alles fluid, sagt der bunte mann; er lachte nicht. überhaupt war alles völlig ernst. nur die narrenkappe störte etwas. aufeinmal merkte ich, dass der bunte mann hinter vorgehaltener hand lachte, lautlos fast. ach geh doch, sagte er neckisch, ich bin ein narr, kein kontrolleur, von mir aus fährst du, wohin du willst. die frau am anderen ende des waggons hatte sich umgedreht und tippte sich an die stirn. sie erinnerte mich aufeinmal, das war klar, aber an wen oder was? ich rätselte herum, kam aber nicht auf einen grünen zweig. plötzlich rief die frau, es ist ein narrenhaus, ein narrenschiff, ein narrenzug. ich erwachte, erleichtert, muss ich dazu sagen.

fettnapf IV***

why do you do what you do. fataler satz, gelesen in einer newsletter aus dem irgendwoher und ich, häää??? an mich selber gerichtet, das ist schon ziemlich komplex, muss nicht die halbe welt befragen oder etwa nur die wahlkandidaten oder die präsidenten und sonstige Macht haber oder die nachbarskatze, da scheint es einfach, instinkt, heisst es dann. Gregory Bateson befragt von seiner tochter: Was ist instinkt, papa?, antwortete, das ist ein WORt, mein Kind. also ich selber und nun inquisitioniere ich jeden einzelnen der Schritte, die ich heute Morgen getan, inklusive meiner hörerlebnisse am geöffneten fenster beim schreiben, also taubengurren, elstergekecker, Schwalbenschwirren. warum schreibe ich alles klein, ja, warum eigentlich, das meiste ist routine und gewohnheit, wie gähnen bei neueren filmen oder neuester deutscher literatur. darf man das sagen? ich vermeide jegliche wendungen, die gender relevant sein könnten, warum? manche dinge scheue ich wie der teufel das weihwasser, sprichwörtlich. mene tekel. also kreise ich um das warum wie die katze um den heisen brei topf. warum stehe ich heute, ausgerechnet heute, so früh auf, ich habe einen termin um acht uhr angesetzt und wache pünktlich auf mit dem weckerklingeln um sieben (also mitten in der nacht), der reinste terror übrigens, mitten aus meinem traum gerissen oder fing der erst an mit dem weckerklingeln und lief darauf zu, zeitumgekehrt, jedenfalls wachte ich danach wieder um sieben uhr achtunddreissig auf und nun, zackzack ins bad und anziehen und café und schuhe, wo ist der verdammte schlüssel und zwei ungleiche socken und welches hemd und jacke oder nicht jacke das ist hier die frage und also sondieren, es ist frisch und wolken ziehen auf und also jacke und hinaus und gehen, aber rasch, und schneller. also warum tue ich dinge und tue andere nicht. von der frage wird mir schwül, naja, auch die frage, ob ich nicht doch, auch, schwul sei, also an allem interessiert, hat sich auch schon immer gestellt, aber das steht hier eben nicht zur debatte, es ist im übrigen kein gegenstand von debatten, aber sein oder nicht sein. dabei ist mir werden lieber, also im fluss, die ganze zeit, aber nie in demselben, aber am selben ufer, von der anderen seite aus gesehen, ist meine handlungsweise fragwürdig. reflektiert oder impulsiv, aber von welcher beschaffenheit die impulse. ja, stress spielt eine rolle, selbst erzeugt, natürlich, oder sagen wir kindheitstraumata, später rekapituliert, relapse sozusagen, demnach frust als handlungsmotiv oder revenge, gegen mich selber, wegen versagen, damals oder gestern. scheitern, überhaupt, als handlungsanleitung, äh, motiv.

ich gehe schneller, bewege mich zielstrebig auf mein ziel zu, an einem interessanten hauseingang (schwebende treppenstufen, heller stein, grosszügig) vorbei, an weissen, strahlenden blumenköpfen, ich, in den hortensien, efeubewachsene hausfassaden oder sind es weinranken, jedenfalls gutes isolationsmaterial! die schuhe schmerzen nicht mehr, äh, die füsse wie vorgestern noch! dann strasse, autos, kreuzung, kinder mit eltern, haufenweise, letzter schultag, ich gehe, noch schneller und da, da, ist das ziel, erreicht. ich bin eben gerne pünktlich. why? pünktlichkeit ist eine form der höflichkeit? es gibt einfach dinge im leben, die ich, persönlich, als unhinterfragbare (ich lasse mir das adjektiv auf der zunge zergehen) urphänomene betrachte.

bei manchen gelegenheiten bin ich gerne unpünktlich, weil es peinlich ist als erster zu erscheinen und dann verlegen herum zu stehen (gequältes lächeln, small talk, mit panikanflügen, was sage ich um himmelswillen als nächstes, thema? thema? was stand in der zeitung: deshalb erscheine ich auf parties erst dann, wenn das getriebe in vollem gange und sehr laut ist, so dass verbale bekundungen sich von selbst erübrigen und kein bedauern über den klimawandel nötig ist. frage: wie bereitet man sich am besten (?) auf den klimawandel vor? falsche frage? ich gehe zu fuss, sage ich, wenn ich mich im korrekten denken verheddert habe, das hilft immer als ausweg)

Stern* hat soeben Morrison, die kleinstadt, in der er totengräber (croque-mort) war, immer in schwarz wie ein deprimierter rabe und also keineswegs amüsiert, sondern todernst, verlassen, nach einem chaotischen showdown, vom regen in die sternsche traufe.

Aki Kuroda: „octopus thinking“**

bei einigen dingen habe ich die bewusstseinsfrage WHY noch immer nicht geklärt. unbewusste motive, überhaupt unbewusst, wie morgens früh um sieben uhr achtunddreissig kopfüber in den tag und schütteln, schütteln, weil es spass macht? unerhört, als motiv, meine ich.

  • Stern, L’Ouest, le Vrai. Frédéric et julien Maffre. Dargaud 2019
  • Interview in: Tempura N°14, Le silence est d’art
  • die fettnäpfe I bis III harren der publickation

trotzige abwendung

in der letzten zeit wende ich mich den farben zu und nicht nur, weil ich das unnachahmliche frühlingsgrün liebe, ja, heidnisch verehre als elegante gottheit des neuanfangs, sondern weil die nachrichten mich dazu treiben und in mir eine unbändige sehnsucht nach kräftigen farbnuancen wecken. natürlich, ich gebe es sofort zu, ist es auch eine abwendung, eine recht trotzige, von den täglichen katastrophen, den alarmistischen medienzündungen, der ambulanten panikmache (als ob die jemals ein problem gelöst hätte). ich gebe auch sofort zu, dass die AI geschichte eher besorgniserregend ist, eine blackbox, von der niemand weiss, was in ihr vorgeht und es besteht kein plan und nach welchen kriterien man entscheidet, wann eine maschine selbstbewusst wird und ob sie nett sein wird (was unwahrscheinlich scheint) und wie man sie nett macht (das sind überlegungen aus der community). ich habe mit Baer auch über meine jüngste lektüre geredet, die bücher von Ogawa Ito in der fr. übersetzung, in denen nur die kleine welt vorkommt, mit ihren kleinen problemen, liebe, krankheit, beziehung, schmerz, leiden und freuden des alltags, der kleinen lebenswelt, nicht der grossen, keine geostrategischen überlegungen, nicht die frage, wie der krieg beendet werden könnte (uups, das will man doch, oder doch nicht, oder nur nach wiedereroberung von… oder auf kleiner flamme (wenn das denn ginge, denn leute sterben, werden verletzt und ihr leben zerstört) immer so weiter, bis zum letzten …) ganz abgeshen davon, dass solche überlegungen überhaupt nicht politisch korrekt sind, sie kommen in den romanen von Ogawa auch gar nicht vor. der tod hingegen schon und das leben und die kleinen dinge und die nuancen davon, und die sorgfalt und bewusstheit im umgang mit ihnen.

also ich habe Baer davon erzählt und erwartet, dass ich des weltabgewandten kitsches erdächtigt werde, also mein gesamtes leben ein einziges kitschdebakel ist, weil auch ich in zunehmender abneigung vor irgendwelchen denksystemen und gesamtüberzeugungen (was man einmal weltanschauung genannt hat) mich einfachen freuden hingebe, wie zum beispiel der, noch am leben zu sein und zu gehen, zu weinen, zu lachen und zu staunen über jeden kleinen fitzel, der ein wunder ist.

Baer sagt zuerst nichts, dann kommt eine anständige beichte, denn, so sagt er, er sei vor kurzem in der bahnhofsgegend in einem kleinen lokal in einer seitenstrasse eingekehrt und habe dort zu mittag gegessen, einfach, ordentlich und mit guten zutaten, die bedienung sei nett, die atmosphäre habe ihm das gemüt, das recht nahe am boden war, erhoben, denn an den wänden hing farbiges, kräftiges, blumen und leute darstellend, nicht realistisch, verspielt und abseits der grossen probleme, ja, in einer zone ausserhalb. ihm sei aufgegangen, dass er einiges an der aktuellen art von problemkunst, à la bewältigung der grossen krisen, unnötig, ja langweilig finde, weil ihm, das sei seine bescheidene und unerhebliche ansicht, die nachrichten völlig genügten, ja, übergenügten, weil er mit der sortierung und einordnung und bewertung genügend beschäftigt sei, er müsse diese problem- und krisenverdopplung nicht haben. ihm genüge die problematik, wie man einigermassen heiter in der multiplizität der krisen bestehen könne und da sei ihm die farbenwelt der ihm unbekannten artistin gerade zurecht gekommen. er sei heiterer gegangen, als er gekommen sei. das spreche eindeutig für die bilder.

ich war paff, denn ich hatte mir von Baer eine tirade über kunst und kunsttheorie erwartet und eine verurteilung meiner jüngsten eskapistischen tendenzen, inklusive der vorstellung, mich an eine einsamen ort zurückzuziehen und gelassen der dinge zu harren, die kommen würden.

Baer machte dann eine anmerkung zu meiner anmerkung über die AI entwicklung und sagte in der substanz folgendes, alle werden weiter machen, denn, werden sie sagen, die andern werden weiter machen und wir können uns in diesem wettlauf keinen rückschlag leisten und sie werden das mit gebührend argumenten untermauern, neue weltordnung, rüstungswettlauf, china, russland, indien undsoweiter. dass niemand weiss, was das bedeutet, also niemand die risiken abschätzen kann und das, was in dieser blackbox vor sich geht, wird bestimmt minimisiert, herunter geredet. „wir“ haben noch immer getan, was wir tun konnten, wenn es machbar war, haben wir es gemacht. die büchse der pandora ist kein mythos.

wir haben uns auch, bei einem espresso am bekannten ort, über den krieg und die propaganda drum herum unterhalten. Baer ist äusserst skeptisch. die aesthetik, wenn man denn von aesthetik reden kann, der machtinszenierung auf der anderen seite gibt natürlich zu grosser beunruhigung anlass wie auch die nachrichtenlage hier und das gerede über kriegsziele und erst die geleakten dokumente. interessant dabei die frage nach der authentizität des geleakten und das gerede wiederum darum und nun das gesicht des leakenden, das präsentiert wird. auch das statement im britischen parlament einer äusserst mutigen abgeordneten, das auf „die levetiten lesen“ hinaus lief.

man braucht, sagte Baer vor unserem aufbruch, kräftige lebensbejahende farben in diesen gequälten zeiten.

Bilder von B. Hoffmann in der Casa Fabiana. diesen bildern verdanke ich die anregung zu den obigen anmerkungen.

fröhliche weihnachten

vergeblich, sage ich, träumen die leute nicht,. von einer einfacheren welt? von weniger mühen? leiden wowieso! aber nur spass oder freude würde die freude fad machen, weswegen die idee des ewigen lebens mit ewigem halleluia singen so wenig attraktiv scheint. aber selbst die ewigkeit kommt nicht ohne ewige verdammnis aus, sie braucht das höllenbraten, um sich engelsgleich abzuheben vom feuerpfuhl. daraus bezieht sie ihren appeal. der verblasst ist über die jahrhunderte. und heute kann man den allerhöchsten fanatismus von leuten, die sich als gottes interpreten wähnen, aus ziemlicher (medien) nähe mit ansehen. so war es auch einmal hier. es roch nach verbranntem menschenfleisch. sorry, ich lese gerade das buch von Helmut Lethen, Der Sommer des Grossinquisitors. Oder die Faszination des Bösen. ich war schon immer beeindruckt von der Passage bei Dostoïewski (sag mal, wie schreibst du das? Baer, der mir soeben über die schulter geschaut hat. wie denn, ich. so auf keinen fall, Baer). und im Faust ist Mephisto eindeutig die interessantere figur. Faust ist dagegen fast ein intellektueller Langeweiler, ernst, zu tiraden geneigt, auch wenn sie was haben. das sieht man vor allem sofort auf dem theater, etwa in der Steinschen inszenierung in ganzer länge, I und II.

nicht verstanden, sage ich, als Baer darauf aufmerksam macht, dass meine these, verlängert in die gegenwart, mörder und kriegstreiber zu interessanten figuren erhebt. nein, wirklich, sage ich, das ist eine unterstellung. ich rede gerade von literatur. ja, sagt Baer, typisch, wenn es hart auf hart kommt, reden sie sich mit Literatur heraus. ich rede mich nicht heraus, sage ich, ich rede von literarischen figuren, weder von P., noch von X, noch von den bärtigen unholden am Hindukusch und nebenan.

das solltest du aber, sagt Baer.

ich bin sprachlos.

dann lenke ich ein oder tue wenigstens so. dieses böse, sage ich, wie es von den wenigen fernsehbildern herüber kommt, zeichnet sich durch eine fürchterliche inszenierung aus. P. auf besuch beim nachbarn: mir stellen sich die nackenhaare auf, die grässlichen lokalitäten, die uniformen, die gesichter, männer, keine einzige frau sichtbar, die kochen wohl gerade und wickeln die babys oder sie beten, der oberpope segnet die patriarchalische bescherung ab, während die herrschaften über den noch effizienteren tod reden. von welchen dämonen sind die besessen?

Baer: dämonen? von der geilheit der macht und zerstörung sind die besessen. jemand sagte in einem interview, ein spezialist natürlich, die seien von realitätsfernen obsessionen besessen.

sind die analysten und strategen auf der „guten“ seite ganz frei davon, von deiner realitätsfremdheit, sage ich.

Baer ist empört.

ich versuche eine diversion. von unten betrachtet, sage ich, also aus meiner perspektive, lernen wir allmählich die rechnung kennen, sie ist gesalzen. „europa wird verarmen.“ kernsatz. es wäre allerdings verblendung zu behaupten, das käme nur vom krieg in der Ukraine. mir fällt in dem zusammenhang 2008 ein. und nun sagen die wirtschaftler, nicht sparen, raus mit dem geld, konsum. und gleichzeitig heisst es, auf keinen fall, das ruiniert uns ökologisch. woraus ich schliesse, wir haben ein strukturelles problem, ein systemisches. nur, dass der krieg, den es die ganze zeit irgendwo gegeben hat, nun an unsere grenze gerückt ist, also kein irgendwo mehr. das erinnert mich im übrigen an das kleinbürgergespräch über den krieg in der Türkei in Faust I.

(die gewisse agressivität, die sich im gespräch mit Baer zeigt, hat mit dem winter zu tun, mit der dunkelheit, meist löst sich die spannung um die wintersonnenwende, auch wenn es nur wenig mehr licht gibt. manchmal explodiert auch die aggressivität um den familienweihnachtstisch, so dass mit weihe und friedensfest nicht viel ist. und in diesem jahr kommen zur winterdunkelheit, dem grau und regen noch die diversen krisen dazu. man müsste zum weihnachtsessen alle potentiellen hieb- und stichwaffen verbannen und in kluger voraussicht mit den fingern essen.)

Baer schaut mir noch immer über die schulter, registriert, dass ich unser „gespräch“ aufgezeichnet habe und schüttelt unwillig den kopf; ich sehe es, denn ich habe mich zu ihm umgedreht.

ja, sagt Baer, man sucht nach feinden und feindseligkeiten. man ist irritiert. jedesmal, wenn ich abends um acht nachrichten schaue oder höre oder lese, brauche ich zwei stunden wenigstens, bevor ich zu bett gehen kann. lesen hilft nicht. die explikationen kommen einem oft spanisch vor. die experten pflügen ihr feld und ihre furche und man vermisst das ganze, das zusammendenken, wenn ich das höre, wir brauchen jetzt verstärkten konsum, sonst schlittern wir in die stagnation und rezession. ist das nun wissenschaft oder ideologie. von den internationalen ökokongressen erschallte eine ganz andere melodie. das weihnachtsgecshäft ist mies, heisst es. was denn nun. und ich wette mit dir, dass die expertInnen auch darauf eine verzwickte antwort hätten. etwas relativierendes, sophistisches.

ist das der festton, sage ich. du wirst ein gesprächsgefecht verursachen, wenn du in dem geiste…

jajaja, sagt Baer. ich mache übungen, gehe viel und schnell durch die stadt, in wald und flur. ich meide nachrichten seit einigen tagen. aber gewiss wird ein gast sich nicht an meinen vorsatz halten, keine fehde vom zaun zu brechen. es gibt einige hitzköpfe unter den geladenen.

deseskalation, sage ich. du kennst mich schlecht!, sagt Baer. es braucht nur einer den richtigen einstieg vorzulegen und ich steige auf den zug. dann fliegen die fetzen, sage ich. ja, zumindest verbal. meine mutter hat letztes jahr einen ihrer schönen teller auf den boden geschmissen, weil es ihr reichte. die streithähne waren beschämt. die, die bisher den mund gehalten hatten, haben danach zivilisiert miteinander geredet. wir streithähne geschwiegen. sie hätte uns sonst aus dem haus gewiesen. teller schmeisst sie nicht jeden tag.

singt ihr weihnachtslieder? jemand hat mich das vor kurzum gefragt. ich habe nicht lange nachzudenken brauchen: wir haben noch nie weihnachtslieder gesungen, weder in der herkunftsfamilie noch in der aktuellen. wir haben musik gehört, Bachs weihnachtsorratorium und den Thomaner Chor mit den Klassikern. aber wenn die kinder mit ihren kindern ankamen, war es mit dem weihevollen sowieso vorbei, dann herrschte kinderchaos. weihnachten ist chaos, ein freundliches muss ich sagen, manchmal gibt es ein geschrei, weil einer die spielsache nicht hergeben wollte oder weil eine hingefallen ist. aber auch das war im rahmen des friedlichen. manchmal gab es wüste diskussionen, aber auch erst, wenn die vieille prune aufgetischt worden war. es gab genecke, aber keinen krieg. es lag an den rollen, die von den beteiligten gewählt worden waren. das war eine verlässliche sache, man wusste jederzeit, woran man war, die repliken waren fast vorgegeben. spät in der nacht flaute die fechterei ab, die beteiligten waren ermattet vom schnaps, schliesslich wurde die versammlung aufgelöst.

nun sind die jungen dran, sie haben familiäre diplomatie drauf, ecken und kanten werden elegant umrundet. man freut sich, dass man zusammen ist, das chaos hat sich ausgeweitet und vertieft. neun enkelkinde sind zugange.

Baer hatte sich kurz entfernt. nun steht er wieder hinter mir und schaut mir über die schulter.

ja, was feiert ihr denn, sagt er.

das kind, sage ich, das neue licht, den funken in der dunkelheit. also heidnisch, sagt Baer. was heisst hier heidnisch, bist du etwa einer von den weihnachtskatholiken, für die waren alle andern heiden, götzenanbeter und schlimmeres, mit feuer und schwert. wir feiern den frieden und das friedliche zusammenleben. den neuanfang, wenn du so willst.

entschuldigung, sagt Baer.

das geistige, sage ich, ist auch das sinnliche. wenn wir den geist überall und in allem sehen würden, hätten wir die suppe, die wir nun auslöfeln müssen, nicht angerichtet. wir haben irgendwann begonnen, uns in der menschenwelt abzuschotten und nur noch den nutzen zu sehen. dass die dinge ausser uns ihren eigenen wert und ihre eigene schönheit haben, fällt uns etwas spät ein, wenn es uns überhaupt einfällt. die dinge ihrer selbst wegen zu achten ist unserer grapscherökonomie völlig fremd. und ökologie vertreten wir ja nur deshalb, weil uns der arsch auf grundeis geht, weil der ausgesandte boomerang uns nun von hinten trifft. und wir tun auch noch überrascht. die meisten fernsehsendungen zum thema haben auch etwas unheimlich verlogenes, vorgetäuschte überraschung und nun panik, angst und depression. selbstlüge ist eine starke eigenschaft der spezies. rational geplante irrationalität, könnte man fast sagen. mathematisiert. digital. nach den grossen kongressen nun die botschaft, spart nicht, schmeisst euer geld hinaus, das system braucht es, sonst …

du bist mir vielleicht in einer stimmung, sagt Baer. ist doch wahr, sage ich. wirst du dieses menü beim weihnachtsessen auftischen, sagt Baer. umhimmelswillen, sage ich. du kommst garnicht zu wort. ausser wenn gegessen wird, herrscht kinderchaos mit eltern ermahnungen. X hat Y eine ohrfeide verpasst, X wird beiseite genommen und beredet. Z schreit, weil sie nicht bekommt, was sie will. tröstliches eingreifen des zuständigen erwachsenen. lachen und toben und geschrei. ich schaue amüsiert zu, versuche es jedenfalls, ich habe es mir vorgenommen. ich versuche vor allem, durch meine einfälle das chaos nicht zu vergrössern. vielleicht, wenn es denn gelingt.

geschenke? fragt Baer. bücher, sage ich, nur Bücher.

also bücher und keine weihnachtslieder?, sagt baer.

ja und zwei menüs, sage ich, vergan und fleischlich. und das verträgt sich, sagt Baer. friedliche koexistenz, sage ich, kein kalter krieg.

na denn, sagt Baer.

fröhliche weihnachten, sage ich.

sowas wie eine vorläufige bilanz

das leben ging weiter, der schmerz ging mit. man wird nicht kleiner dadurch, man wird auf das angemessene mass gestutzt. tabula rasa. man greift zögerlicher nach neuem. ist tatsächlich etwas neues gesagt oder nur das alte, etwas heraus geputzt. man weiss wenigstens, wo nichts neues zu finden ist.

soll das eine bilanz werden? (ich rede mit jemand, der nicht im raum ist). nein, es geht um die frage, was hat man dazu gelernt. man sagt nichts mehr, worüber man nichts weiss. man sagt lieber man als ich. man diskutiert kaum noch und bricht ab, wenn es nur noch um rechthaben geht. und das tut es neuerdings meistens; viele haben meinungen, die stehen wie betonklötze in der landschaft herum. man diskutiert nicht mit beton. zuhören geht noch immer und nicken auch, keine zustimmung, aber: ich habe dich gehört. wenn einer ansichten hat, kann er auch mal recht haben. „well meaning is not enough“. man ist nicht mann, sondern sie, er, es, wir, sie (mehrzahl), vielleicht. „ich weiss es ja selber nicht“, sagte jüngst ein mensch zu mir. ich gehe der eigenen empörung aus dem weg und gelange lieber zu klaren gedanken. manchmal kommt mir mein reden als schwäche vor, schweigen ist vorzuziehen, aber nicht in jedem fall.

das gespräch mit ihr fehlt mir seit fünf jahren. sie mochte austausch, nicht hingegen die diskussion von meinungen. es ging ihr darum, den besseren gedankengang zu finden. immer mehr ging es ihr um stille.

Immer öfter, wenn wir durch den wald gingen, also jeden tag, sagte sie oder ich, vielleicht sollten wir schweigen. das vermisse ich auch, das schweigende gehen unter bäumen. wir redeten nicht über das wetter, ausser wenn wir die koffer packten.

wie oft habe ich mir gesagt, dass ihr tod den tisch abgeräumt hat. sagen wir es so, der tod bringt gedanken auf den punkt, auch ganze welten davon. er relativiert nicht bedeutung, er annihiliert sie. ich muss nicht mehr reden, um herauszufinden, dass etwas nicht stimmt. das alleinsein brauche ich, es ist keine einsamkeit. manches sagt sich nicht, sondern erschweigt sich. das schweigen ist ein erfüllter raum. es sind nicht nur nachklänge ihrer stimme. ich mag lebensweisheiten nicht besonders, erfahre aber gelegentliche einsichten. mein lieblingszustand ist vor allem anderen die stille, danach die schweigende berührung.

manchmal wehre ich mich dagegen, dass ich in die gegenwart geworfen wurde, widerwillig. zukunftsvorstellungen sind doch wichtig, sage ich mir. aber die gegenwart dehnt sich immer weiter aus und ich komme mit meinen wahrnehmungen, gefühlen und gedanken fast nicht mit. ich bin beschäftigt, tue allerdings nicht viel. am liebsten sage ich, ich tue garnichts. das garnichts kann ein nagel sein, der gerade in die wand geschlagen wird, um ein bild daran zu befestigen. eine klangfolge, auch eine alltägliche, erfordert ganze aufmerksamkeit. es gibt orte, an denen mich das bedürfnis überfällt, mich sofort zu entfernen, gelegentlich auch leute. feiern scheint mir angebracht, gerade auch bei wintersonnenwenden. weihnachten allerdings weckt bei mir einen fluchtreflex. ich bin zwar anwesend, aber in gedanken bin ich am vergleichen. ohne sie ist es nicht mehr das wahre. ich gehöre dazu und entferne mich gleichzeitig. es ist zeit für einen spaziergang, sage ich mir und sofort erblicke ich sie in ihrem langen wintermantel, der etwas soldatisches hatte.

mit ihr war man immer unterwegs.