o, die vertrauten steine wieder unter den füssen, das gras, es ist fast zuhause, wenn das nicht anderswo wär, irgendwo ganz am rande ein waldsaum, eine lichtung, ein hügel, das gras verbrannt und die sonne, der wind und der regen. oder, wie gesagt, das meer, die dunklen fluten und dazwischen die flecken azur, das flimmernde licht und der dunst, der zum horizont weist.
sonntag früh, mitte august, der garten ist schon kühler und die brise am fenster ein kuss. natürlich denke ich an marie. vergiss deine träume und fantasmagorien, was sagten dir jüngst die steine am meer und die steine vor deiner tür, porphyr, rötlich, braun und manchmal fast grau? das war ihre frage.
und heute morgen nach dem regen, die feuchten pflastersteine und meine fusssohlen wie freunde oder vielmehr noch geliebte. und der duft erst, als hätte der himmel die erde geküsst (und das hat hat er doch auch).
die steine erzählen mir von einem anderen land, das gras sowieso und die erde. die widersprüche in allem werden uns nötigen in die stille zu gehn und zu fragen, wollen wir tatsächlich auf dem wege weiter gehn?
selbst in der tiefe des sommerlochs, wenn die dinge auf ihren grund kommen, wenn es still wird, wenn die hektik an den stränden der welt, an den entfernstesten küsten ihren höhepunkt hat, beginnt mein luzides träumen, ich hebe die tasse mit dem café, führe sie zu den lippen und schon der erste schluck reisst mich weg an einen anderen ort, dort nehmen die leute ihr schicksal selber in die hand, die mittel dazu stehen längst bereit und die gedanken ebenfalls.
heute morgen stosse ich in der zeitung, online und offline, auf die gesichter von politikern im sommerloch, posieren statt argumentieren, denke ich, das ist der stand der dinge und stimmung ist noch längst keine demokratie und tauschen wir doch die protagonisten, wozu? damit alles beim gleichen bleibt?
meine ungeduld wächst, die analgesika, die stimmungsaufheller werden nicht mehr in apotheken verkauft, geistige umnachtung ist nicht auf die spezialisierten institute beschränkt. rennen wir nicht schon kopflos, gedankenlos und leicht verwirrt umher, in supermarkthallen sitzen ältere herum und starren ins leere. vom neon verfärbte toten gesichter.
das fortwährende flimmern oben verdeckt die krankheit der tiefe, sein oder haben ist heute das gleiche, wer hat, der ist.
ist was? du verlierst dich, so sagt marie, in konjekturen, spekulationen sind keine fakten und diese sind prekär, was ist mit dir heute morgen nur los?
ich übersehe den fortschritt nicht, sage ich, ich geniesse ihn sogar, ich mag gut angezogene regierungschefs lieber als solche in schlecht sitzenden anzügen und ernstes reden ist mir lieber als die modisch gewordene grossmäuligkeit. aber ich glaube nicht an wachstum, geldvermehrung (geld heckt geld) und die anhäufung von sogenanntem reichtum.
rede doch endlich wirklich von dir, marie wird neuerdings schnell ungeduldig (und ich gebe es zu, ich rede seit längerem mit einer toten, sie lächelt auf dem porträt neben mir, sie ist schön, die marie und sie bewacht meinen schlaf und mein wachen).
was sagt das lächelnde politikerpaar auf dem foto vom fest am see über dich, das ist doch die frage, sagt marie, sie wird nun energisch und ich kann nicht mehr ausweichen.
von draussen ein wind und der geruch des regens im gras, die wolkenränder zerfetzt, zerfieselt und das augustblau erst.
zur sache, sagt marie.
ich werde still.
sie lächeln, sage ich, sie strahlen optimismus aus, sie könnten irgendwer sein, ein glückliches paar, sie sind nicht unsympathisch. andererseits spüre ich einen sog, etwas scheint mir verdeckt, eine absicht, sie spielen mit meinem gefühl, was wollen sie? die wollen an die macht, das sagt sich so gemeinhin, aber die macht liegt doch längst wo ganz anders und es geht bestenfalls um die verwaltung, subalternes, ein gesicht gegen das andere; ich gebe zu, die gerade regierenden sind etwas träge geworden, feist im nacken und rundere wangen, vom zuvielen sitzen in wichtigen sesseln, vom andauernden lächeln auf fotos und in nachrichtenvideos und die entscheidungen sind längst woanders gefällt. charaktermasken.
kaum habe ich das wort ausgesprochen, prostestiert marie.
bleib bei dir. was fühlst du?
ich stehe nun vollends an der wand. was soll ich nur sagen?
beklemmung, sage ich, wenn mein herz sich mit meinem denken verständigt, immer nur mehr beklemmung.
was willst du, sagt marie.
sie lässt mir keinen ausweg, die marie.
ich möchte sehen, was ist, sage ich. tacheles will ich, keine phrasen und ausreden und wortgirlanden, reinen wein will ich eingeschenkt, ich möchte sehen, was wirklich hier läuft.
schweigen… stille…
unterdessen wandert mein blick zu dem tisch quer gegenüber, der sessel steht bereit, das buch liegt auf dem tisch, der einband leuchtet rot und auf dem deckel steht: Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie.
und dort findest du, fragt marie.
auch eine beschreibung meiner komplexeren seelischen zustände, wenn ich die fotos sympathischer politiker im sommerloch erblicke, lächelnd, strahlend, denke ich: aber nicht überzeugend.
was schlägst du vor, fragt marie.
ziemlich leise höre ich mein murmeln.
eine koalition, das sage ich tatsächlich.
eine neue koalition? marie: aber ungläubig.
ja, sage ich, eine koalition von mumm, punch, herz und vernunft.
nicht ohne die marder, die frettchen, die antilopen, die nashörner, sage ich, nun nicht mehr aufzuhalten, die armen, die elenden, die verlassenen, die unglücklichen, die leidenden, die wütenden und aufgebrachten, die proleten im geiste, die internationalisten, die weltbürger in rotweissblau, die füchse, die eichhörnchen, bienen, wespen, pappeln und birken, nicht zu vergessen die hollunder, die wilden rosen, die artisten, die verräckten, die spinner, die gut angezogenen, die freunde des scharfsichtigen denkens, die buchen und eichen, die sehnsüchtigen, die meeresliebhaber, die wale und die quallen, das gras und die vögel alle, die storche und alle papageien, die pfauen und die eichelhäher und last but not least alle vergessenen und die toten, die es fast nicht mehr ertragen, was wir mit der erde und dem himmel tun.
gut, höre ich marie sagen, sehr gut, befriedigt klingt das und ich grinse frech und unverschämt.
habe ich jemand vergessen?
das unkraut.