Die besondere Variante von Grün, die ich gerade erblicke, geht ins Blaue hinein, andeutungsweise, ein Sprenkel auf einem weissen Blatt. Er dient mir als Schlüssel zu einer Tür und die Form auf dem Papier erinnert auch von ferne an einen Schlüssel, wenn auch einen sehr eigenartigen.
Jedenfalls hinaus aus dem, was gerade ist.
Der Garten füllt sich mit Sommergästen zum Sommerfest, ich habe einmal hinaus gesehen und mich dann, unter einem Vorwand diskret entfernt, man kann sich unsichtbar machen und meine Abwesenheit ist eine Weile unbemerkt.
Unterdessen studiere ich Wolkenformationen auf makellosem Blau. Der Sonntag erwacht erst, kaum Verkehr, Stimmen nur aus sehr weiter Ferne, Vogelgezwitscher in den nahen Baumwipfeln, eine leichte Brise macht die Rotbuche gegenüber flimmern.
Ich lasse mich langsam hinein sinken.
Motorne Geräusche, Rauschen, anschwellend, da, genau vor mir und es entfernt sich, verstummt und das nächste. Eine Autotür klappt zu, eine Flasche klirrt in einen Container.
Ich weiss natürlich, warum ich zögere mich unter die Gäste zu mischen.
Gelächter, Scherze, ausführliche Begrüssung, Gespräche, Leute werden einander vorgestellt, wieder Lachen, Lächeln, die Kinder rennen herum und mitten in allem eine Art Riss im Raum, mitten in der Fülle, nur ich kann ihn wahrnehmen, dort ist die Stelle, an der Marie verschwunden ist.
Nun werden es immer mehr Gäste, der Garten füllt sich, überall Leute und Leben und ich bleibe lieber sitzen, schaue hinaus auf die Wolken, die Bläue und ich weiss, dem festlichen Trubel bin ich heute nicht gewachsen.
Der Sonntag erwacht sehr langsam, Kinderstimmen von der Strasse her. Heute trösten mich die Wolken: Du tust etwas, du blickst wieder auf und schon sind sie neu und ganz anders und überraschend, sie sind das Element, in dem Proteus spielt, sie sind die Wechselfälle in reiner Form, wuchtig und federleicht und gleich schon vergangen und ich der Hans-guck-in-die-Luft.
Man ist so sehr gewohnt, geradeaus und hinunter zu schauen, dass es fast Mühe macht, den Blick für eine Weile nach oben zu richten und sich der Weite auszusetzen.
Wenn ich hinaus blicke auf das Wolkengetüm über mir und in die blauen Fenster darin, fühle ich mich fast gehalten.
Nur sehr langsam wird mir bewusst, wie sehr ich ein Träumer bin und wie wenig ich meinen Träumen nachging, oh, es sind ganz einfache Sachen, am Wasser sitzen zum Beispiel oder ein Wolkengucker sein, auf Geräusche lauschen in alle Feinheiten hinein, unter Bäumen flanieren, nachdenkliche bedächtige Gespräche führen und eins am andern an Waldsäumen, Wiesen.
Der Traum ist kein Muss und er ist kein Soll.
Der Traum ist genau und erinnert alles, am Fuss des Wassers jedes kleinste Kräuseln, jede feine Dünung, jedes Glitzern, Aufblitzen, jedes Glucksen, ein Vogel streicht am Waldrand hin, ein Wind legt Gras in Wellen, von irgendwoher eine Stimme, sehr fern, und in der Bläue oben die Ewigkeit, keine seelenloses Immerweiter, nein, ein Angesprochensein.
Der Traum inszeniert kein Leben. Der Traum vergisst kein Gesicht.
Der TRÄUMER träumt die Welt ins Dasein.
Der Träumer ist ein Teil des Traums.
Der Traum ist der Hund im Kegelspiel.
Der Traum sieht klar, der Traum schaut in jede Ecke, der Traum sieht um die Ecke.
Ich nenne diesen Teil von mir den Träumer, weil er in der gegenwärtigen Bewusstseins – und Seelenverfassung wie ein Träumer vorkommen muss. Er tut für heutige Begriffe noch nicht einmal das, was der Normalmensch (gibt es den?) im Urlaub tut, denn dort wird weiter getan und gemacht und heftig erlebt, und selbst das sogenannte Relaxen geht nicht ohne Anstrengung oder es ist ein Einsacken, ein Zusammenfallen, hinterher muss alles mühsam wieder zusammen geklebt werden.
Mich als Träumenden am Waldrand zu erblicken, nicht erst nachträglich, sondern im gleichen Augenblick, das ist (nicht war) eine überwältigende Entdeckung. Plötzlich steht der Junge auf dem Kinderfoto neben mir, er lächelt verlegen. Das ist ein Glück. Aber keines, das verfliegt, wenn es bewusst wird, sondern dieses Glück ist genau das: es wird bewusst.
Ein solcher Augenblick singt.
Ein solcher Augenblick ist eine Öffnung.
Ein solcher Augenblick kann gar nicht angemessen beschrieben werden.
Dagegen ist alles übrige Anstrengung und Krampf (wenn ich dies haben will, dann muss ich jenes tun, nichts dergleichen, Windstille hingegen, kein Hauch, einen Augenblick gar keine Zeit, schweben, gar nichts bewegt sich, und nun das plötzliche Erwachen von etwas längst Vergessenem, nicht Vergangenem, auch Zukünftigem, aufgeladen mit es ist und es wird).
Es war etwas angehalten und nun endlich gerät es in Fluss, nun endlich entsteht eine Bewegung, eine ganz andere, im Zickzack, in Spiralen, auf und ab, aber keine bekannte lineare, aber auch die mitunter, also neben der üblichen, auf einem ganz anderen Geleise, keinem eingefahrenen, einem, das erst entsteht.
In die Wolken Gesichter hinein schauen.
Im Blau einfach weiter reisen.
Esou‘ schéin……
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