nehme ich an, jemand liest das hier? die tags fehlen und mir sind die regeln des guten bloggens völlig unbekannt und niemand weiss, was ich an diesem virtuellen ort von mir gebe und doch treibt eine seltsame kraft mich zum schreiben.
davon, von dieser sorte, gibt es inzwischen millionen, die meinen, wie ich, etwas zu sagen zu haben, inzwischen ist aus der schonungslosesten selbstoffenbarung ein eigenes literarisches genre geworden.
wie Sybille Berg in ihrer spiegelkolumne einmal schrieb, warum sollte ich mich auf die welten anderer einlassen, auch weil es so viele davon gibt, vom ernsten katzenliebhaber zur intimistischen gefühlsbloggerin über den auto-, sex-, porno-,pferde-, kochkolumnisten usw., ins unendliche der menschlichen vorlieben fortsetzbar, die ganze vielfalt narzistischer obsessionen und jeder findet anscheinend genug gleichgesinnte, die ihn/sie zum weitermachen ermuntern.
so viele, die gesehen, gelesen, gehört werden wollen, so viele, denen der selbstausdruck fast befehl ist. so wenige, die lesen und schauen und sehen und überhaupt wahrnehmen. Zum beispiel die vielfalt des Menschlichen, die schönheit noch der verwüstesten gesichter, schönheiten, die mich atemlos machen und wütend angesichts des grossen abräumens, das imgange ist.
und darunter nun ich.
was mich von den andern unterscheidet? nichts. rein gar nichts.
was mich bisher von dem hemmungslosen selbstausdruck zurück gehalten hat, war die erkenntnis, dass ich nichts besonderes zu sagen habe; ich bin nicht gleichgûltig, was den zustand der welt betrifft, ich bin involviert in projekten, aber kein aktivist, mein intellekt ist nach eigenem urteil nicht herausragend, ich bin kein philosoph, kein esoteriker, kein katholik, gottbewahre, obschon ich den katholizismus in den knochen habe, ich bin nicht buddhist oder protestant oder muslim, obwohl alle varianten mein interesse haben, ich bin allerhöchstens ein zeitgenosse und das ist, nach der definition von Giorgio Agamben kein niedliches oder einfaches geschäft, sondern eines, dessen feinheiten mich in anspruch nehmen.
einmal habe ich geschrieben, um deutlich zu machen, was ich unter zeitgenossenschaft verstehe, wenn der weltuntergang kommt, mit pauken und trompeten, stelle ich mir einen bequemen sessel vor die tür mit blick auf meinen garten, dessen sinn mich tröstet, jeden tag aufs neue, setze mich so hin, dass ich gut sitze, nach der anweisung bert brechts, dem ich einiges verdanke, schlage auf meine weise die beine übereinander, wie ich es gewohnt bin, so dass das überschlagene knie auf der gleichen ebene zu ruhen kommt wie das trägerknie, und schaue, setze mich aus mit allen sinnen, mit der ganzen fläche meines körpers, schaue, trauere, leide wie ein hund und bin einverstanden mit dem gott, der wahnsinnig geworden ist.
zusehen zu müssen, wie die geliebte frau, mit der ich (fast) alles geteilt habe, stirbt, an einem Krebs, der sie in drei monaten zu tode bringt, war für mich der vorgezogene weltuntergang, der dunkelste wahnsinn, der wahnsinnige gott, den ich noch in meiner kindheit vergeblich angefleht habe, dem wahnsinn, diesem und anderem, ein ende zu setzen.
Zeuge sein des alltäglichen weltweiten wahnsinns kann in den abgrund reissen; ich habe leute gekannt, die weltzugewandt und weltoffen waren, deren interesse bei weitem ihren kleinen lebensumkreis überschritt, und die es nicht mehr aushielten.
ich habe junge leute gekannt, schüler, die sich eine kugel in den kopf jagten, die sich im gartenhaus erhängten, die von der eleganten brücke zwischen altstadt und bahnhofsviertel gesprungen sind. weil nichts mehr sie hielt. es waren gewiss nicht die lebensfeindlichsten, ich vermute sogar, es waren die, die das leben am meisten liebten.
nun sitze ich hier an meinem tisch vor dem fenster zur strasse, autos fahren vorbei, als sei alles in ordnung, und ich schreibe, weil ich dem wahnsinn noch gerade so, ganz knapp, entkommen bin.
und nachts, um den wahnsinn zu zähmen, schaue ich wie ein süchtiger, wie ein entkommener, entsprungener, die dritte folge von star trek deep space nine.
hi theo
„es gibt dinge, die passieren und niemand kann etwas vernünftiges dazu sagen“
hat mir vor jahren ein 17-jähriger neffe gesagt. mit dem ich nach santiago gewandert bin. weil er die schule werfen wollte.
das fällt mir in deiner situation ein. zu deinen offenen. wütenden, verzweifelten blogbeiträgen.
als arzt ist man dem tod etwas näher.
aber verstehen, das eine nicht mehr existiert, ist unmöglich.
auch vorstellen nicht.
von unserer ganzen zivilisation, dem einmalig_und-ewigkeitsdenken, wie wir es pflegen.
ich spüre, dass ich eher resignieren würde als du.
aber was vernünftiges oder tröstendes sagen, kann ich nicht.
ich bin einfach da, in der ferne, unverbindlich.
ich schaue dich nur an.
michael
LikeLike