I
zu müde bist du zum denken, zum da sitzen nicht, abendgeräusche registrieren, autos rauschen unten vorbei, ein fernes glockenspiel, eine autotüre klappt zu, ein rolladen rattert, im hintergrund dumpft es, die ganze zeit, jemand hustet. nach den autorauschen ist es so schön still.
du hast im garten gearbeitet, mit dir selber reden, in der zweiten person, fühlt sich bei deiner müdigkeit bequem an, keine grossen emotionen, nur der hintergrund traurig allein, du hast dich gefreut, du warst traurig und manchmal nur der gärtner, also ganz abgetaucht in die arbeit, du hast dir nichts dabei gedacht, du hast es einfach gemacht, hochkonzentriert, nur in einer pause ist dir der trauerrand aufgefallen, sowas wie ein dauerndes hintergrundrauschen.
die stadt war heiss und laut und hat nach abgasen gestunken, nur in der seitenstrasse am bahnhof bis zur post war es ruhiger, an der ecke hat einer vor der kneipe geschnarcht, an der ecke gegenüber war eine frau schon betrunken, du hast erdbeeren gekauft und dir dabei gesagt, es ist noch viel zu früh dafür, vor der italienischen eisdiele eine warteschlange, deine enkelin hat sich nicht für eine sorte entscheiden können und die bedienung war leicht genervt, sie hat sich an den nächsten gewandt, du hast die sorte mit feigen verpasst, stattdessen pistache, wegen der farbe zu mango und citron vert, du denkst natürlich sofort an die grünen éclairs pistache von namur, das war am tag vorher mit der anderen enkelin, als sie plötzlich abgehauen ist wie der blitz und zum spielplatz geflitzt ist, ohne auf dich zu hören, du sasst eine weile am tisch wie ein hilfloser idiot, ehe dir ein trick eingefallen ist, und die bedienung war nicht in sicht.
du hast geschwitzt, die jacke hättest du zuhause lassen sollen, aber du wolltest das neugekaufte stück unbedingt anziehen, du gehst noch immer gerne durch die stadt, das ist dir nicht aufeinmal abhanden gekommen, das gehen in städten macht angenehm müde und die vielen leute, die richtung bahnhof gehen, es ist gegen fünf und du hast die zeit vergessen, seit jahren ist es dir egal, was für ein tag, das datum bitte, und die uhrzeit, keine ahnung, das nach-der-uhr-gehen ist lange schon vorbei.
im garten dann das kurven mit dem rasenmäher um die wildeblumeninseln, die du verschonst, du hast dir abgewöhnt in regelmässigen bahnen zu mähen, ein paar mal schrubbst du über liegengebliebene spielsachen und erwischst eine riesenmurmel, der rasenmäher macht ein vermurkstes geräusch und am kirschbaum in dem hohen gras entdeckst du ein gefärbtes ei und vier angeknabberte schokoladendinger, die ostern keiner gefunden hat.
du hast offensichtlich eine spürnase genau die falschen artikel zu lesen, so im guardian nach dem mähen den bericht einer frau, wie sie ihren therapeuten jahrelang das allerwichtigste vorenthalten hat und ihre angst vor dem eigenen tod und ihre panikattacken mitten in einer sitzung, das liest du natürlich zu ende, es ist dein thema, so sagst du dir, und ein teil von dir ist auch traurig und zwar immer.
seit gestern planst du eine gedenkfeier für marie oder eine feier für die überlebenden, die an marie denken wollen, und du entwirfst einen einladungstext und unterdessen wird dir bewusst, du hast den leuten, die ihre anteilnahme bei maries tod bekundet haben, noch immer nicht gedankt und keins von deinen kindern hat dich daran erinnert, es geht dir also nicht alleine so, wie es dir geht, und dir fällt ein, maries kleider hängen auch noch immer im schrank und ihre schuhe stehen noch im regal und wenn du alte fotos anschaust, rein zufällig natürlich, das album mit fotos von sich als baby hatte dein jüngster sohn hervorgekramt, weil er vater geworden ist, dann sagst du schön und empfindest das auch und kurze zeit später, da hast du das album schon weggeräumt, geht es dir aufeinmal furchtbar schlecht. nachdem du den entwurf für eine einladung zur gedenkfeier fertig geschrieben hast, geht es dir noch schlechter und du musst dich eine weile hinsetzen und schweigen.
langsam entdeckst du deine bedürfnisse wieder, du kannst sie dir eingestehen, weil du deinen verwechslungen auf die spur gekommen bist, die andern sind nicht marie und es macht keinen sinn, bei ihnen nach marie zu suchen.
du versuchst deinen therapeuten nicht zu beschwindeln wie die frau im guardian, du sagst ihm, du seist oft in gefühlen wie wolkenauftürmungen und nebelbänken unterwegs und seine sachliche art bringe dir erleichterung, schon alleine weil sie dich jedes mal überrascht. die sitzungen nehmen dir deine traurigkeit nicht, aber sie bringen ordnung in dein gefühlschaos, das hast du ihm auch gesagt. natürlich weisst du genau, worüber du nicht reden willst, worüber du aber mit marie geredet hast. das fehlt dir, dass marie sagt, hör jetzt auf damit.
II
heute entzieht sich die welt allem gerede, du suchst nach wörtern und sie sperren sich, die frauen in deinem traum ähnelten marie, du hast jedenfalls sofort an marie gedacht, im traum meine ich, aber keine der frauen hatte etwas von marie. sie standen um dich herum und sahen eher amüsiert aus, oder hast du dich getäuscht, sie tuschelten untereinander und waren keineswegs geniert; du warst leicht eingeschüchtert, aber frauen beiendrucken dich sowieso immer, du hast ihr reden irgendwie fast nebenbei aufgeschnappt, sie haben offensichtlich über dich geredet, du hattest den eindruck, es werden immer mehr, das war leicht beängstigend. er gibt sich mühe, das glaubtest du zu hören, aber er krampft ein wenig, er strengt sich sich dermassen an, oder hast du dich einfach nur verhört, aber es ging in die richtung. eine sagte, er erholt sich schon noch, das war nicht zu überhören, sie hatte sich über dich gebeugt und schaute dich kritisch an, sie sah marie nun gar nicht ähnlich.
beim aufwachen fühltest du dich richtig schlapp. es war viel zu früh, du hast eine weile der stille zugehört, als die vögel zu zwitschern anfingen, bist du wieder eingeschlafen. an den traum hast du dich beim zweiten erwachen genau erinnert. wegen der frauengesichter. fast warst du dir sicher, du bist denen allen gestern in der stadt am bahnhof begegnet. natürlich hast du dafür keine beweise.
natürlich strengst du dich viel zu sehr an. du willst alles vergessen, dann wieder willst du alles erinnern, sogar deine ablenkungen haben etwas von krampf.
heute morgen hattest du, im garten wenigstens, beim spüren des nassen grases unter deinen füssen, den eindruck, alles läuft auf etwas unbekanntes hin, ein ziel, du fragst dich, was ist mein ziel, und du antwortest, das fällt dir nun aufeinmal ein, es ist doch ein spiel, das hast du eine von den frauen sagen hören, und das sichere gefühl, alles läuft auf ein ziel zu. es war schon immer so, das ist dein leidigster satz, der fluss ist reissender geworden, in deinem innern spürst du den zug auf etwas hin, das dir noch verborgen ist.
der eigene tod ist dann noch etwas anderes, sagst du laut, im garten, der café ist kalt geworden und du trinkst ihn aus und denkst an deine kindheit, die dir nun aufeinmal als robuste fülle erscheint.
da hast du gelernt, dass es keine stelle gibt, bei der du deine beschwerden einreichen kannst. jammern ist zwecklos. aber du steckst deine gefühle nicht mehr weg für bessere zeiten.
das leben hat immer schon einen trauerrand und deine lektüre gestern hat dich darin bestätigt, einer sitzt immer dabei und ist traurig. das glück ist eine amerikanische erfindung, sagt er und ein anderer ist grundlos glücklich und spielt, ein weiterer spürt das leben als reissenden fluss, der nächste lobt das ende, einer hadert damit und marie lächelt, du lebst seither manchmal in der stille, die ein garten ist.