„kindskopf, alter unverbesserlicher narr“

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am ende ist man befreit, von sich, von allem. die schwere fällt ab, man steigt, aber das ging noch nie von selber, man kann sich auch mit allem hinunter ziehen lassen in die erde und nicht mehr denken, kaum noch fühlen, aber lamentieren, sich beschweren und beschwert sein, das geht immer, und sich wieder holen, immer von neuem ansetzen und immer wieder das gleiche alte refrain. ja, man ist sterblich, man vergeht, stellt sich nur die frage in welcher verfassung, ich meine welcher geistigen.

ich habe wieder gelesen, nächte durch, es ging gar nicht anders, diesmal ist mir das mountainbike auf dem von waldarbeiten aufgerissenen schotter einfach weggerutscht, da war gar nichts zu machen und ich habe mir zugesehen, ein zeitlupiges gefühl, wie ich über das rad segle und aufpralle auf der seite und es tut richtig weh, und dann stelle ich fest, der linke bremsgriff ist abgebrochen und die elektromotorschaltung blockiert und ich leicht angeschlagen geistig affiziert von der urplötzlichen realisierung, man kann zwar fahren wie ein sechzehnjähriger, aufprallen tut man als siebzigjähriger und ich hatte glück, nur prellungen, nur ist gut, schlaflose nächte wenigstens, ich komme gar nicht in meine bevorzugte schlafposition und lese, notgedrungen, neben pausen, da höre ich in die nacht, beobachte das fahle licht in den fenstern und ich vernehme ein scharren, als sei ein kleiner nager am werk und seine nachbarschaft beruhigt mich (die hornissen vermisse ich, sie hatten ein nest unter der holzverkleidung gebaut, es waren schöne grosse viecher und vor dem einschlafen hörte ich das summen und feine rascheln, sie sind ausgezogen, meine nachbarn und nun vermisse ich sie).

in dem augenblick, als ich über den lenker flog, meine schmerzhafte rippe  erinnert daran, habe ich fast lachen müssen, auch als ich da lag und der linke oberschenkel sich sehr unangenehm meldete, im gleichen augenblick wie das lädierte handgelenk. während ich das gelenk und den daumen bewegte, um zu checken, ob etwas gebrochen sei, hörte ich marie sagen, „alter kindskopf, was machst du für sachen“ und ich sah ihr kopfschütteln und verzog das gesicht, es wurde ein schmerzliches grinsen und dann rappelte ich mich auf und fuhr weiter, indianer heulen nicht, aber danach lag ich flach, ich merkte, als ich berichtete, denen, die es hören wollten, dass ich mit einem gewissen genuss erzählte (insgeheim fühle ich mich nun eingeweiht)  und im gleichen augenblick fiel mir ein, ich hatte nicht auf mich gehört, es war eine leise stimme, die sagte, heute vielleicht nicht diesen verwüsteten weg.

was mich auf das andere thema bringt. an dem waldweg die hergeschleiften baumstämme aufgetürmt zeugen von einer recht gewalttätigen maschinellen operation, einfach nur grob und klotzig, als gäbe es keine zürückhaltenderen methoden zum beispiel mit ardennerpferden, das würde der waldboden danken und auch die wege und ich, aber das geht wohl nicht ruckzuck genug und es fragt sich dann doch, woher die eile, time is money oder nur beschränktheit und fantasielosigkeit. man wundert sich jedenfalls.

dabei bin ich schon öfter und viel schneller über den lädierten weg gefahren und wollte an dem tag besonders vorsichtig und da lag ich auch schon, verwundert wie schnell alles aufeinmal anders ist.

und ich lese eben wider nachts, wenn die geprellte rippe die richtige position verwehrt und stelle beruhigt fest, in diesem universum gibt es türen in andere und es gibt bei romanen sowas wie welthaltigkeit, sonst klappt für mich die tür schnell wieder zu.

das umwerfende bei diesem erlebnis ist die sehr vertraute stimme, selbst wenn sie schon vor zehn monate verstummt ist, sie meldet sich sofort, ich hätte marie so gerne gehört, als ich angeschlagen die kellertreppe hinauf ins haus hinkte: „kindskopf, alter unverbesserlicher narr“ meinetwegen auch (voller besorgnis) „idiot“ und  „hast du sie nicht mehr alle“, „wie alt warst du noch kurz vor dem sturz?“ und ich hätte geantwortet, etwa sechzehn und die unbändige freude an dem schnellen dahinfliegen unter den bäumen, die auch du so gut kanntest.

und dann sage ich mir, mensch, habe ich wieder schwein gehabt.

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