was ist erinnerung

1 „er redet immer soviel…“

über Er redet immer so viel … ¨

Verhoovens Tagläufe, Clemens Verhooven

M.B.

und im anschluss : noch mehr reden, lesen, in sozialen medien ganz verschwinden

SICH IN DEN ANDERN ERKENNEN?

WENN MAN NICHT AUFPASST, WIRD DIESER SATZ DURCH FB UND INSTAGRAM, TWITTER, WAS AUCH IMMER, ZUR absurden FARCE, DENN DORT SIEHST DU AUF EINMAL WIE gestreut AUS, tausend SPLITTER, BELIEBIGe und beliebig ANZUORDNEN, keine erkennbare ordnung, DU ZERSPRINGST IN HUNDERTTAUSEND facetten und verschwindest darin, verloren, verschollen im nichtssagenden, denn sofort, bevor du es ganz gelesen, hinlänglich betrachtet hast, ist es schon überholt, du bist und wirst überholt und bist schon wieder ganz anders, aber unkenntlich, bist du das oder jenes oder doch …,

es flimmert, bist du noch mehr als ein flimmern.

das ist ein anderes verschwinden als im sommer in der hitze am meer und du breitest dich aus bis zum horizont, du weitest dich, du wirst zum panorama, halb träumend.

hier wirst du elektrisch automatisch und irrst in langen fluchten, durch endlose korridore, türen überall  (und dahinter nichts ausser weiteren türen) du jagst  hinterher und kriegst nichts zu fassen. du erkennst dich nicht mehr, zerbröselt, gibt es dich überhaupt noch. ein albtraum gewissermassen.

ausser atem, schnappatmung.

ich fühle mich hinterher nicht nur leer, überfüllt, aber leer, vor allem entsteht das gefühl, mich gerade wieder verpasst zu haben, immerhin luge ich noch durch etliche lücken herein und sei es auch nur in dem frustrierten ton, in dem ich anschliessend darüber rede.

in wirklichkeit rede nicht ich, sondern die zerstreuung, die auflösung ins beliebige.

kein focus, kein ich.

meine eltern hatten keinen fernseher bis ende der siebziger, das reden drehte sich um alltägliche dinge oder um schule, der vater idealisierte schule und uni, auf die er gerne gegangen wäre, er war auf details gespannt, die man sich als junger nicht gerne entlocken liess, das leben drehte sich um realien, fernsehsendungen in schwarzweiss gab es, sehr selten, in der kneipe nebenan, doch die kneipenbesucher waren noch mehr am gespräch interessiert als am glotzen und in der kindheit gab es gelegentlich den sandmann bei einer freundin. die natur war so beeindruckend, dass blosse bilder und wenn sie auch liefen nicht dagegen ankamen und die fernseheindrücke waren einsprengsel, bedenkenswerte, aber sie überfuteten nichts, sie waren noch nicht so aufdringlich eindringlich. man bekam die leute noch mit, später musste man sie hinter wiedergaben von fernsehgeschichten mühsamer erraten, sie waren sozusagen allgemein geworden, das besondere, und betreffe es auch das banale, das übliche, den alltag und die einfachen befindlichkeiten, schien sich langsam zu entziehen. ich erinnere mich noch an meine irritation, wenn jemand von seinem fernsehabend berichtete, im fernsehen haben sie gesagt …

nun ist alles so? nur noch dies und das und jenes und immer bist du zu spät, jetzt hast du aufgeschlossen, sagt mein instagram account und ich hänge in diffusen eindrücken, kein einziges foto von minimalisten, die ich mag, habe ich ausführlich betrachtet. ich merke es an meiner hast. an meiner ungeduld, meiner irritation.

und weiter, und noch mehr.

beim lesen und schreiben hingegen die gegenteilige erfahrung, focus, versammlung des zerstreuten, es erscheint wieder so etwas wie ich, ein gefühlter halt, nur ganz am rande das nagende, etwas zu verpassen, abgehängt zu werden. aber keiner kann sagen, wohin der zug fährt, manchmal vermute ich, wir sind schon in dürrenmatts tunnel verschwunden, auf einige zeit schon.

es gibt noch jemand, der weiss, was er will. oder hat er es schon vergessen.

immerhin, ich folge ein paar blogs, die ich lese, meist ausführlichere sachen, wie den hier angeführten, und ich merke dann meine anfängliche ungeduld, ich bin schon so eingestimmt auf das hastige checken von  bildern und textfluchten und die nächste und was jetzt, schon so gewöhnt an das kurze schreiende, in schneller abfolge, dass ich mich bewusst einstimmen muss, die hast herunterschalten auf sorgfältiges bedächtiges einlassendes lesen. das sich lohnt. bis ich weiss, ich verpasse nichts, ICH LESE.

was will ich wissen und lesen.

eine längere buchlektüre, die braucht zeit, schon das hinsetzen ist behäbiger, ich sage nicht behäbig, in der vorfreude, im betrachten des umschlags, wenigstens kurz, das aufschlagen sodann, den anschluss finden und sich erinnern an das schon gelesene, das eintauchen in eine welt von differenzierten eindrücken, sehen, hören, gelegentlich schmecken, es gibt tatsächlich einen kulinarischen aspekt des lesens, man nimmt etwas in sich hinein, immerhin ein intimer vorgang, man schaut nicht nur in die welt eines anderen ichs, man  richtet sich dort ein für eine weile ein, manchmal wird man verscheucht oder verzieht sich.

was will ich.

2 erinnern

damals, gestern, vorgestern, so sagt man und meint jetzt, weiter im raum entfernt steht ein stuhl, darauf sitzt sie und redet, um den tisch leute, zugewandte gesichter.

und sofort jenes andere bild, sie sitzt auf dem sofa, in ihrer ecke, und vor sich das ipad und konzentriert, so konzentriert, dass sie mich fast nicht eintreten hört und hallo, zerstreut, absorbiert, und ich betrachte sie ausführlich dabei, sie lässt sich nicht ablenken.

überhaupt erlebe ich sie konzentriert, focussiert, deutlich.

oder sehe ich nur meine eigene konzentration, alles sonstige nebengeschäft, zwar nicht unbedeutend, aber in ihrer anwesenheit abfallend in der gewichtung oder nur wichtig, hauptsächlich, auf sie hin orientiert, auf ihre anwesenheit.

nachträglich wird es sichtbar, erlebbar, für mich. ich erkenne die linie nicht mehr, nicht mehr so gut, nicht mehr so schnell, das jeweilige gewicht, die notwendige abfolge.

abends ist zwar einiges gemacht, aber es ist nicht so genau erkennbar, wie wichtig es ist, sagen wir, für den tagesablauf, die notwendigkeiten, sagen wir im hinblick auf rechnungen, die unbezahlt bleiben und sie betreffen so elementares wie gas, elektrizität und wasser. ich weiss, wie elementar es tatsächlich ist, wenn es fehlt, ich vergesse es nicht, ich ignoriere es, als sei eine skala, ein mass verloren.

der andere ist ein rhythmus, ein paradigma, an dem ich alles messe, eine regel, was ist wichtig und was weniger.

ist das eine erinnerung oder ein fehlen und nun erinnere ich mich mühsam daran, was eine bedeutung hat und welche.

erinnern tu ich mich an einzelheiten, wie sie etwa sagt, darf ich probieren und ohne die antwort abzuwarten hat sie den bissen schon auf der gabel und die zum mund geführt und erst jetzt sage ich ja und lache.

teilen ist der oberbegriff.

und was ist allein?

in der erinnerung gibt es die geheime kammer, du schaust hin und wenn deine augen nicht mehr glänzen, dann öffnet sich keine tür.

„wenn jemand mich fragte, wer war sie, ich würde kein wort sagen.“ich selber, jetzt

im allgemeinen trage ich ein sehr allgemeines bild von ihr herum, frag mich keiner nach einzelnem, wie sie ging, wie sie redete, wie sie sich durchs haar strich, wie sie sich setzte oder wie sie aufstand.

das wie ist geheim.

fotos von ihr erstaunen mich, so wie jetzt haben sie noch nie erzählt.

ich habe alles/vieles verkehrt gesehen, auf dem kopf, nun kommt es auf die füsse, rückt sich von selber zurecht.

„so war das also. so war sie also.“

ich müsste sagen, so ist das also.

im ende erkenne ich den anfang, das, was ein leben aufzehrt, was an ihm nagt, eine art des leidens und der freude, eine begabung dafür, eine bestimmtheit und eine bestimmung, die sich im sterben und im tod offenbart.

in der stille, die nun eingekehrt ist.

in der erinnerung ist immer noch ihre stimme, es war deswegen nie ganz still, die möglichkeit, dass sie spricht, war anwesend, deshalb ist die stille abgeflacht, nicht mehr voller erwartung (ich hörte sie gerne reden)?

die stille selber ist nun eine erinnerung: an ein nichtmehr. nun ist sie damit geladen.

im erinnerungsraum höre ich ein entferntes flüstern, eine stimme, die sich entfernt, bis sie unhörbar ist.

3 was ist erinnerung?

vergessen, erinnern, die hellen tage mit marie am meer, marie reisefertig vor der tür und ich zögerlich, kaum weg bekomme ich schon heimweh und auch das, dieses so bekannte gefühl sucht mich jeden tag auf und ich lebe im exil. ein untergegangener kontinent, eine verschollene insel. sie haben sich vor meinen augen aufgelöst, aber auf der inneren karte sind sie fest verzeichnet. sagt man das nicht immer von erinnerungen, fest in unserem herzen, unvergesslich und schon, wenn man den friedhof verlässt, weiss man nicht mehr, wen man zurück gelassen hat. diese angst.

aber auch das gefühl beim betrachten von fotos mit ihr, nicht bloss eine ahnung wie sie war in corpore, nein, die illusion, so prall, so voll, so ganz berührbar sei sie noch, gerade dort um die ecke und eine einzelheit vergessen wie ein verrat.

erinnerung ist erratisch, provisorisch, geh weiter in den raum hinein und du findest sie, gebückt über ein buch, nestelnd an einem kleid und eine frage an dich, du kommst von weit.

aber woher komme ich eigentlich, in wartestellung bin ich, ich warte auf nichts besonderes, aber ich warte, als werde alles wieder so, wie es war, als sie die tür aufmachte und ich hörte ihr hin und her im flur, den mantel auf den bügel, die schuhe ins fach, die tasche an ihren ort und: ich bin wieder da. das sind keine träume, nicht einmal wachträume, es sind einsprengsel in das übliche, das aufstehn und ein innehalten plötzlich, oder beim blick aus dem fenster in den garten. eine färbung, ein ton, manchmal einfach nur eine oberfläche, die lücken im rasen noch von dem letzten sommer.

dann kommt hinzu: sie ist nie zuverlässig, wenn ich es recht bedenke, fliessen in dem inneren bild die frühesten zeiten mit späteren zusammen, gerade jetzt kommt sie sehr jung auf mich zu und ich erblicke gleichzeitig zimmer, möbel, aber die schon wieder aus einer anderen zeit. und immer rätsle ich, wer war es, der eben noch neben mir sass und fragte, du bist so still oder war sie es, die still war, und ich fragte.

es ist immer ein verlorenes paradies, ein goldenes zeitalter. selbst wenn es war wie das jetzt, also gemischt mit dem allerhand des üblichen.

manchmal halte ich gar nichts von erinnerung, ich gehe über die strasse und tue so, als sei alles normal, als käme ich gleich nachhause und sie … in einem der zimmer ist sie bestimmt.

ohne erinnerung ist angst.

erinnerung ist nicht nur bild, film, abfolge.

ich war kurz weg, eine besorgung zum beispiel, es könnte aber auch die rückkehr von einer reise sein, du kehrst nicht an einen ort zurück, aber in das sichere gefühl, es wartet jemand auf dich und wenn er auch nicht wartet, so ist er doch da.

erinnerung funktioniert schlecht mit mangel, sie fehlt mir ist kein erinnerungssatz, darin entfernt sie sich sehr schnell und entzieht sich am ende ganz. ich weiss das ziemlich bestimmt.

abwesenheit, das denken davon, aber auch das einfache gefühl der leeren stelle ist hingegen erinnerungsafin.

manchmal bin ich selber nur erinnerung, als habe es einmal einen anderen gegeben. das ist das resultat des sich erinnerns an sie.

erinnern ist nicht so sehr ein denken an, es ist ein gewahrwerden im gleichen raum. auch wenn es räumlich weiter weg ist.

ich warte, aber auf nichts bestimmtes, ich halte den atem an, um besser zu hören.

es ist nicht jetziges leben, aber es ist ein zweites, ein paralleles. in dem einen bin ich still, rede ich, sitze ich, fahre ich mir mit der hand durchs haar, in dem andern bin ich ein horchen, schritte, ob sie näher kommt.

wenn ich sage raum, gäbe es ihn nicht, würde ich ihn schaffen, ihn ins wirkliche denken und sie dorthin einladen, ein raum so gedacht, dass sie ihn betreten kann. manchmal frage ich mich, war er schon immer da oder habe ich ihn erfunden und erforsche ihn nun, gestalte ihn aus, ist er so, dass es sich für sie lohnt. einladen heisst vorkehrungen treffen.,

deshalb schaut sie auf fotos so lebendig aus. ich weiss, es hat mit meinem schauen zu tun, aber nun schaut sie auch zurück, aber nicht wie man eben so schaut, soeben, sondern ihr leben sieht mich an und es hat viele gesichter.

als zeige sich nun ein ergebnis, eine summe. also etwas unbekanntes. neues. kein bloss subjektives, weil es sich mir zeigt, nein, etwas objektives.

 

 

 

 

 

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