Vogesen 1 bis 8

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Vogesen 1

When nothing matters anymore, what does matter, anyway, et encore et encore.

Wenn ich das wüsste.

Unentwegt einen kontext kreieren, das ist es, was das hirn tut, es kann gar nicht anders, es kreiert eine umgebung, in der sich operieren lässt, wenigstens für kurze zeit, wenigstens für die zeit einer bestimmten verrichtung, einer geste, einer handreichung, zum beispiel schubladen, aufgemacht und zugeschoben, oder nägel,  eingeklopft und krumm gehauen oder dünnbrettbohren.

ich erfinde mir unentwegt zusammenhänge, in dem handeln gefragt ist oder stillsitzen oder herum gehen und blumen bewundern. oder schönheit überhaupt oder das gegenteil davon, da muss man nicht lange suchen. oder musik, rock zum beispiel, oder eine schöne stimme oder eine raue, eine verspielte oder auch gedichte lesen.

gedichte schaffen sofort einen kontext, ein paralleles universum, eine verquere welt oder ein denken um die ecke, ein einigermassen komplex kompliziertes,  verschachteltes wie das gefühl, wenn jemand verloren geht und du findest ihn nicht wieder. überhaupt kunst, bilder, gegenstände, in denen du den letzten rest verstand verlierst und in einer höheren vernunft landest.

Aber abgesehen von alledem,  mein lieblingskontext, die holosuite sozusagen, die ich bevorzuge, liegt  in der frage, was mache ich hier, aber  eine antwort ist nicht zur hand und unterwegs stosse ich auf die weitere frage, ärgerlich, ärgerlich, was wäre ein denken, das man nicht bloss hat, sondern das man ist.

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Am morgen ist es angenehm kühl im mittelgebirge, in der ferne tief dunkelgrüne tannenwälder und dörfer, gedeckt in orange, und hellgrünere flecken von matten und stille, einfach nur stille und die nacht unter dem alten holz des chalets ein geheimes knistern und fast unhörbares wispern von uralten stimmen: was einmal war, kommt so nicht mehr wieder.

Das autoritäre von heute, die diktatorische geste wird immer grotesker, aber keineswegs weniger schlimm.

Dass dieser gedanke sich mir ausgerechnet nachts aufdrängt, als wollten die alten mir sagen, ziemlich vorwurfsvoll: wie konntet ihr sowas zulassen: ich murmele was von mob im gegensatz zu bewusstsein und bildung, nun wird offenbar, warum menschen in unwissenheit gehalten und mit (unsichtbarem) nasenring an der kette (und blumenguirlanden) herumgeführt werden: die mobregenten zeigen an, wo wir hingekommen sind.

Sodann vernahm ich kriegslärm, todesschreie und angst und die welt riss entzwei.

Warum ausgerechnet hier solche alpträume, feldzüge, niederlagen, massaker.

Wie schnell vergesst ihr: die wände wisperten das, und wenn ihr nicht vergesst, dann überseht ihr so leicht, was sich jetzt zusammenbraut.

Morgens setzt man vorsichtiger den fuss auf, im gras eine glockenblume und winzige gelbe sterne und ein gefiedertes kraut, das scharf gemähte gras braun, die nackte erde zeigt sich zwischen den büscheln, hier hört man das treiben im tal fast gar nicht, die andeutung manchmal eines fernen rauschens.

Der traum macht mich still. Einfach lauschen und schaun.

und herumgehn, als sei es das letzte mal, so schmerzlich schön.

Alles nur noch überraschend. Der tüchtigkeit von heute die ruhe verordnen, das stillsitzen und schweigen, das sagt mir der hang und der wald murmelt es weiter.

Die ferne ein lächeln: über allem der segen von marie. Denn unweigerlich, wenn ich mich hinstrecke ins gras und mit geschlossenen augen die wärme der erde erspüre, steigt ihr bild auf und ihre zustimmung.

während ich noch zweifle. Oder zögere ich. Mir scheint, ich bin nicht pressiert, ich nehme mir zeit, selbst wenn ich keine mehr hätte.

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Irgendwann kreuzt man noch eine strasse und schlägt sich dann in die büsche, fern von allem betrieb. So sehr ich es liebe unter leuten zu sein und einer von ihnen, so sehr liebe ich einsame waldwege, felsen und gestrüpp und fast keine wege.

Das alte gefühl, wenn man sich auf der erde ausstreckt und das gras spürt und  keine anderen geräusche als der wind in den tannen und das rauschen wie aus einer geschichte, die man vermisst hat.

Ich erzähle mir meist paralelle welten, in denen es vernünftig hergeht, aber keineswegs perfekt, keineswegs ohne widerspruch im kern der dinge, denn ich habe eine furcht vor stillstand.

Im detail gibt es hier intelligente dinge, aber im grossen herrscht eine wild gewordene beschränktheit und wenn uns was ruiniert, dann ist es kein denken.

Ich habe die erfahrung gemacht, dass kritik nicht erwünscht ist, die, die kritisieren, haben doch auch keine lösung, so heisst es dann und das ist der ultimative mundverschliesser: natürlich habe ich keine lösung, niemand hat sie, aber ich weiss vielleicht einen anfang, er heisst besinnung, er heisst überprüfung der herkömmlichen begriffe. diese neu zu fassen ist keine aufgabe für spezialisten und keine für experten, sondern für alle. 

Das denken, das man nur hat, ist mir suspekt geworden, ich arbeite persönlich auf eines hin, das ich bin.

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Die symbolik der zahlen? Was heisst hier siebzig? Ein menschenalter? Aber ich habe schon länger den eindruck, es ist eine bittersüsse zugabe. Das gefühl? Eine ehrenrunde drehn, catwalk, ehrlich, ich bin leicht amüsiert, so als hätte ich etwas vorausgesehn. Déjà-vu? Nein, eher überrascht, nicht immer angenehm, aber wer wird schon reklamieren bei all den leuten, allen voran Marie, mit denen ich die ehre hatte und noch habe. Machen wir doch einfach ein fest daraus, ein nachdenkliches.

Die welt leuchtet, die dinge treten so überdeutlich hervor. Verwunderung: über die welt vor meinen augen, das etwas müde gras, die pfirsisch schmatzende enkelin, die mich mit seltsamen fragen verfolgt, die katze, die herum schleicht, die bäume, die brise und meine leicht melancholische verfassung: das bleibt nicht und ist deshalb so kostbar?

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Ich versuche zu beschreiben: vor mir ein wiesenhang, elegant nach unten geschwungen, scharf geschnitten das gras und bräunlich verfärbt, spricht vom sommer, dann rostbraun und orange gedeckte chalets und fichten rings und  in die landschaft vorstossende hügel und höhen, dunkelgrün, zackig bepelzt und hellgrün gefleckt mit helleren fenstern und in alles hinein das windsaussen und rauschen und brausen und die tanzenden wogenden äste der fichten und birken und manchmal von unten aus den tälern das explosive geknatter von motoren und über allem eine weissliche himmelsdecke mit bläulichen schlieren.

Im gras ausgestreckt vergeht mir hier jeder pessimismus, hier ist nur ein lauschen und schauen und feines spüren aller unebenheiten und der graspelz und das ameisengekrabbel.

Wind jagt wolken weg und die sonne flackert wieder in alles hinein, nur das sausen des windes den ganzen morgen schon, es erinnert mich an andere zeiten, nicht nur vergangene.

Und  natürlich der wunsch, aus dem menschlichen gewusel und seltsam verfahrenen tun einfach auszusteigen in eine solche umgebung, die heilt.

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Befindlichkeiten: politische, bitte nicht, das wird zu schnell unappetitlich, wie man krisenmanagement nicht macht oder wie die andern einen drankriegen, wenn man regierungsgeil ist,  und sonstige, sonstige vor allem. Was eine gute aussicht bewirkt, eine immer noch harmonische landschaft mit wenigen geräuschen ausser dem wind in den fichten und birken und manchmal ein fernes geknatter von explosiven motoren. So ein ausguck fehlt mir und nun, da ich ihn kurzzeitig habe in diesen sanft geschwungenen hügeln,  bin ich ganz und gar nicht pessimistisch oder negativ. Letztlich ist das meiste (politische) etwas, bei dem ich nur zusehen kann. Es beschäftigt mich, wenn mir etwas auffälliges, etwas ausser der regel, also etwas beunruhigendes unterkommt, das man wenigstens registrieren muss. aber was bewegt sich noch innerhalb halbwegs vertretbarer regeln?

Aber das ist nur ein präliminarium, vielleicht sogar nur eine fussnote.

Ich schaue ins land, das hier sehr nah ist, eine fast greifbare begrenzung des horizonts und dahinter eine unruhige welt, aber für ein paar tage ein wahres zuhause, wenn man im gras liegt und die kräftige brise streichelt und zaust und am waldrand das elegante rauschen, wenn der wind in die fichten fährt, eine kräftige liebkosung, eine handfeste umarmung.

Dann fällt mir unweigerlich Marie ein.

ich wünsche mir ein leben wie diese einfache landschaft und ihre feinen geheimen orte, zum beispiel unten am weg der vertraute fingerhut in kolonie und graugrüne nattern und blindschleichen und darüber  ein kreisender habicht. Der himmel verändert sich hier sehr schnell, aber die farben sind einfach gehalten, ein feines hellgrau mit dunkleren einschüben und nichts gewisses, nichts festes oben und unten die gewissheit, die wälder stehn dunkelgrün wie rätselhafte tiere und die matten sind verlässlich hellgrün bis hellbraun und dazwischen die behausungen der menschen.

Hier singt der wind in den fichtenwäldern und fegt über das plateau und das hektische leben ist fern.

Ein hund bellt, ein hahn kräht, von drinnen vertraute stimmen und gelächter.

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Wolkenschiffe wie besucher aus einer anderen welt, aufmerksame beobachter unseres unsinns. Im wind neigt sich ein baumgesicht dem tale zu und nickt, nickt immer wieder, die sonne um sechs wirft ein verhaltenes licht durch wolkenschleier und der scharf geschnittene hang vor dem chalet glänzt blassgrün, rundum hügel in dunkelgrünem pelz und grasgrüne flecken mit rostbraunen tupfern, dazu  der wind den ganzen tag über, fegt dir den geist blank und klar.

Wie findest du unseren wind, und ich sage, wunderbar.

Beim schwimmen im rabensee, das wasser ist fast schwarz und die kälte prickelt auf der haut, fällt es mir dann doch ein, das unglaubliche manöver zuhause um datenbanken und datenschutz.

un pavé dans la mare aux canards.

Vogesen 8

Morgens früh schon der erste aufbruch und das haus leert sich langsam, saubermachen und packen in der morgenfrische nach dem nächtlichen regen, ein melancholisches beginnen.

ein fest flammt auf, entwickelt sich zu einem freundlichen trubel, hält sich eine weile, schafft, mittendrin, ein versprechen von dauer, ja, von ewigkeit, kein gefühltes ende in sicht, obwohl man weiss, es ebbt ab, und hört auf, noch ein winken, zurufe aus autofenstern und dann den hügel hinab und eilig den grossen strassen zu.

nachdenkliche gespräche am morgentisch, wie erzieht man kinder und die notfälle, wenn man nicht mehr weiter weiss, ich höre den jungen zu und wie sie reden erfreut mich.  ich gebe meinen senf dazu und weiss es doch auch nicht besser, ausser dass unsere bemühungen nicht umsonst waren, das kann ich hören, das kann ich sehn und nun klingt das fest aus und  ist, wie das leben, eine stille freude mit trauerrand. Dass Marie dabei war,  mussten wir nicht besonders sagen, liebevoll spöttisch und ein ironisches zwinkern mitunter, in meine richtung.

das habe ich deutlich gespürt, als meine enkelin trocken sagte, „opa hat eine schraube locker, (kurze überlegung), nein, gleich mehrere.“

solche momente lege ich zu den kostbarkeiten.

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