über die poetik des kratzens

 

frage heute morgen (seit gestern): warum habe ich mich (vorher) nicht frei beim schreiben gefühlt? ich meine, es ging weder damals noch heute darum, dass ich über intimes schreibe (hängt wohl vom standpunkt ab) oder tabu themen angehe, jedenfalls: jetzt erst fühle ich mich so frei. das heisst nicht, dass ich mir keine selbstzensur auferlege.

das habe ich schon gesagt (was eigentlich noch nicht), dass ich ein grosser fan des digitalen abfallkorbs bin and empty bin, es ist endgültig weg. wenn es den nicht gäbe, käme ich gewiss auf die idee, ich sei doch eine art von „schriftsteller“, aber ich schreibe bloss, wie man sich kratzt, wenn es juckt. das ergibt nur eine poetik des kratzens, es klingt etwas vulgär und seicht, ich kann nicht einmal vernünftig erklären, warum es so ist, also, warum tu ich das.

ich will die metapher des kratzens nicht weiter bemühen, denn dann … es scheint spass zu machen, manchmal quäle ich mich damit, finde es nicht gut und drücke doch auf „veröffentlichen“, zur strafe gewissermassen, zum test, ob ich mich traue, einen misslungenen text zu zeigen (oh welcher mut, welche kühnheit, rufe ich mir dann zu.)

ich bin zu diesem blog gekommen, nicht wie die jungfrau zum kind, die sprichwörtliche, sondern durch den tod von marie.

und gleich ist der verdacht da, können öffentlich gemachte gefühlslandschaften eventuell darauf hindeuten, dass sie mehr pose als wahrheit sind. also der grandiose, auch mitgeteilte gestus, die trauer drückt mich nieder, ich werfe mich auf mein sofa und höre de profundis von arvo pärt.

nebenbei festige ich so meinen ruf als schreiber.

es gibt anscheinend leute, die auf dem weg eine kleine literarische karriere gemacht haben, das wird ihnen vorgeworfen, mehr pose als substanz.

das ist eine schwierige sache. je weiter das ereignis sich entfernt, es bleibt im raum und ziemlich nahe, desto klarer wird, das schreiben hat mich vor dem ersticken bewahrt, ohne das schreiben hätte ich keine worte gefunden, es hätte sich angesammelt und mich erdrückt, von innen, also ersticken ist das rechte wort, irgendwann hätte ich unartikuliert (das ist es) auf der strasse geschrien, das wortlose, undifferenzierte gefühl hätte mich verrückt gemacht, so konnte ich es sortieren, benennen und habe ihm die wucht genommen.

ich weiss, dass viele leute ihnen nahestehende menschen verlieren und ich bilde mir nicht ein, ich sei darin ein besonderer fall (jeder fall ist besonders). aber das verhindert die wucht des erlebens nicht, das verhindert den schmerz nicht, kein zynismus schwächt ihn ab, und wenn einer denkt, er sei abgehärtet genug vom leben, um sowas elegant auszuhalten – das habe ich auch gedacht, ich habe mich immer wieder mit tod und sterben auseinander gesetzt – dann wird ihn der konkrete erlebensfall eines besseren belehren, er hat mich jedenfalls belehrt.

Es gibt den alltag, die verpflichtungen, die aufgaben, die gehen nicht weg, weil die frau gestorben ist. natürlich war auch selbstmitleid dabei, ich habe mich immer wieder daraufhin geprüft, aber die ungeheure schwäche, die durch den tod von Marie entstanden ist, eine art wehrlosigkeit, schutzlosigkeit, das verschwinden von festen , sicheren anhaltspunkten, kurzum das geschlagensein, wie in einer schlacht geschlagen werden, am boden liegen, besiegt und nicht wissen, wie aufstehen geht, das alles ging nicht weg, weil ich sagte, allez hop, und weiter mit der karre, so ist das scheissleben nun mal, ce n’est pas une sinécure, es ist kein freizeitpark und wo geht es zu der nächsten attraktion, das habe ich mir gesagt und es hat nicht geholfen. ich bin nur langsam auf die beine gekommen, manchmal gab es den text, den ich schrieb, und das wars für den tag. und ich behaupte nicht, ich funktioniere wieder wie vorher, habe meinen kurs wieder, meine repères und es läuft. ja, aber mitunter läuft es nicht, es ist nicht mehr dasselbe, es ist eine andere realität, vieles ist nur noch stuss, wenn ich es wahrnehme, denn vieles interessiert mich einen feuchten dreck, ich habe nicht vor die positiven seiten der sache auszubreiten, denn ich nehme keine wahr, tut mir leid, ich rapple mich auf, das ist alles.

das schreiben hilft mir, klarheit zu gewinnen, das knäuel zu entknäueln, ich schreibe keine geschichten und wenn es eine wird, dann, weil es spass macht, denn manchmal macht es tatsächlich spass, das leben.

aber sag mir keiner, ich soll jetzt endlich ein loblied auf die veranstaltung singen. weil ich nochmal davon gekommen bin. ich stelle fest, ich bin doch ziemlich zäh, aber auch ziemlich verletzlich. ich habe hingegen keinen grund den harten burschen zu spielen, der alles spielend wegsteckt.

und ich habe keine lust über sachen zu schreiben, die mich nicht berühren.

warum ich das dann veröffentliche? das ist eine gute frage.

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