lagebericht/ sonnig/ sie knallt dann richtig ins gesicht und hitzt auf/ dann wieder wolken/ abgeblendet / wolkentürme/unruhiger himmel/ ballungen von weiss und dunkelgrau/die wolken gewinnen/ für wie lange/ ich ergreife keineswegs partei.
gestern ein paar missverständnisse: ich bin als leser immer frustriert, wenn die geschichte zu ende erzählt ist. es ist ein kleiner dünner schmerz, heraus geworfen aus einer welt, so komme ich mir dann vor.
ich lese allerdings nicht etwa, weil ich mich (immer!) mit dem schluss quäle, wenn lesen kein genuss ist, lege ich bücher weg, das hat nichts mit dem inhalt zu tun, das auch, sondern mit der melodie, die gespielt wird, der sprache, die dir auf der zunge zergeht, inklusive rauer töne, synkopen, abstürze. ich weiss nicht, warum eine geschichte mich fasziniert und eine andere langweilt. modernes erzählen ist nicht linear, eins am andern, ich liebe sprünge in der zeit, wechsel der modi, den anderen ton, gegen den strich meinetwegen. zum genuss gehört eine kräftige irritation, turbulenzen, ich muss nicht in meinen meinungen bestätigt werden, es gibt gutes erzählen oder schlechtes. jemand ist in der sprache in seinem haus und leistet sich auch gelegentlich ein wenig aise, er lässt sich gehn, gähnt, nestelt am ohr, er ist ja bei sich.
oder sie.
wenn man autoren komplimente macht, werden sie misstrauisch, der übertreibt, tatsächlich lässt der rhythmus manchmal nach, der gespannte bogen erschlafft etwas, und nur wenn die geschichte nichts taugt, erschlafft das lesen nicht etwa, sondern hört auf und das buch wird endgültig zur seite gelegt. und eben das ist hier nicht der fall. es gibt schwächere und stärkere passagen, zum beispiel habe ich verstanden, letztlich, dass man sich in einer verhedderten familiengeschichte verheddern kann, es ist quasi natürlich, dass man auch als erzähler nicht ungeschoren davon kommt. on n’a pas fréquenté des gens pour rien. gerade dann verstehe ich aufeinmal, in einer erzählpause sozusagen.
ich halte mich nicht plötzlich für reich-ranitzki oder so jemand, ich bin nur ein leser, ich kann mich sehr dumm stellen, sehr naiv, ich lasse mir die lektüre gefallen. meist werde ich so belohnt.
das beschriebene mileu war mir letzlich nicht so bekannt, ich rede noch immer über 4711 von Anne Schmitt, eine spätentdeckung von mir, aber besser spät als nie, ich nehme die buchpersonen sehr ernst, spöttisch bin ich eigentlich nicht und zynisch nur, um mich vor tränenausbrüchen zu bewahren. das mileu erklärt nicht alles, aber einiges.
es nimmt jedenfalls den buchpersonen nicht ihre konsistenz und ich staune wie aus den kleinen geschichten in der geschichte so etwas auftaucht wie eine umgebung und atmosphäre und die zentrifugalen kräfte darin, aber auch eine seltsame würde, selbst in der beschränktheit.
ich muss, natürlich, an andere familiengeschichten denken, zum beispiel und nicht zufällig an die von Marie, eine verwinkelte saga sui generis, ich habe sie immer interessanter gefunden als meine eigene. aber immer wird etwas zerbrochen, immer werden wunden geschlagen, die kaum verheilen.
zeigen hat mich immer mehr überzeugt als verstecken.
demnach keine lobhudelei, sondern eher die anzeige eines heftigen brockens.
inzwischen sind die wolken verflogen, halten sich noch in diskreten streifen am horizont, überm ereifern habe ich nicht gemerkt, wie sie von dannen gezogen sind; nun eine kräftige brise, die markisen knattern und flattern, auf der wiese torkelt ein schmetterling, eine dicke fliege rennt vergebens gegen glasscheiben, das meer ist dunkelblau, fast schwarz, der horizont zeigt eine klare linie.
ich lese, flüchtlinge in bosnien zahlen 3000 euro, um über die grenze geschleust zu werden.
der café ist kalt geworden und schmeckt bitter.