das plagiat

die toten haben den vorteil, sage ich meiner Enkelin, als wir Blumen aufs Grab bringen, dass man bei ihnen keine maske tragen muss und keinen passierschein braucht. sie kichert. wir säubern das grab arbeitsteilig, die vergoldeten buchstaben haben an farbe verloren, ich sage ihr, wer was in der abfolge der generationen war und verhaspele mich, denn ich habe mich selber ausgelassen und sie lacht, opa, das ist doch mein urururgrossvater und ich frage mich ernstlich, was ich mir gedacht habe dabei, habe ich mich etwa um eine generation jünger gemacht? die bäume rings stehen stumm, aber farbig, stimmen wispern, es ist nur der wind, ich sehe fotografien vor mir und beschreibe sie und mich mit im bild. das liegt wohl an sense 8 der wachovskis, der serie, die ich mir gestern viel zu lange reingezogen habe. dazu höre ich klänge von Pärt aus dem stück anima, für einen augenblick höre ich die töne tatsächlich, wirklich ist es aber doch nur der wind in den bäumen, dann frage ich, nachdem ich die blumentöpfe hin und her geschoben habe, ist doch passabel so oder nicht, sieht doch gut aus, das sage ich zweifelnd und meine enkelin kuckt kritisch hin und sagt dann, ja. wir gehen.

in einer literaturzeitschrift stosse ich auf einen satz von Terésia Mora aus tagebuchaufzeichnungen und bin sofort elektrisiert. „Ich bin vermutlich gekränkt, dass auch ich von der Sinnlosigkeit angefochten werden kann.“ Kann man auch eindrücke und gefühle plagiieren? jedenfalls sehe ich den satz als eigenen an, sofort, mit anführungszeichen natürlich.

so frage ich mich schon einige zeit, ob ich nicht gänzlich auf pump lebe und mir mein leben und meine gefühle von allem möglichen einflüstern lasse, von sätzen, wie eben, von gesichtern, die jäh wie ein blitz die anwesenheit von schönheit bestätigen, überhaupt, nämlich das prinzip davon, von dingen, die mich in trauer stürzen, von waldspaziergängen und hängen, die unversehends ein glücksgefühl auslösen, das fast erschreckend ist.

da braucht es nicht viel. man verschwindet in einer landschaft und fühlt sich doch deutlicher und klarer als je. man ist, wenn man sich keine rüstung zulegt, durchlässig und die aussengrenzen sind gar nicht fest. alles geht durch einen durch. was ist man dann?

genauso wie irgendeine meldung in der zeitung einen anfall von sinnlosigkeit hervorrufen kann. man sagt eben noch: was soll das, meint aber schon alles und sich selber mit. und im gleichen augenblick schaut man auf und das zimmer mit allen gegenständen darin ist rätselhaft fremd.

dann aber sagt man sich, das alles ist doch nur geborgt, gefühle, eindrücke, man ist viel zu leicht affiziert und das ich nur ein plagiat. gottseidank, dass keiner einem auf die spur kommt. man schreibt doch unentwegt irgendwo ab, ist eine zitatensammlung ohne fussnoten, eine gestohlene photothek, ein bündel entwendeter musiknoten, mehre bands spielen zugleich.

hoffentlich, sagt man sich, ist die szene nur weit genug, reicht die landschaft bis an den horizont und immer weiter, hoffentlich, so flüstert man sich zu, ist die aussicht nur nicht zu eng. hoffentlich, so denkt man, hat man auch genug abgekupfert und ist schon auf der suche nach dem noch unbekannten, das man um keinen preis verpassen will.

der satz von Terésia Mora über die Sinnlosigkeit erfüllt mich mit einer sonderbaren genugtuung, ich fühle mich erkannt und durchschaut, ja, ertappt, und der effekt ist sinn, ja, das macht sinn, sage ich mir und fühle mich keineswegs leer und auch nicht irritiert, seltsam, dass mit dem satz etwas in mir zum halten kommt. kein schwindelanfall von wegen leere und dunkelheit.

auf friedhöfen jedenfalls ist es sehr friedlich und heiter um die zeit, selbst nachmittags in leichtem nebelschleier. man fühlt sich nahe und geht unbeschwert weg.

Ein Gedanke zu “das plagiat

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