Baer und die Romantik

Für ein paar tage war ich verreist, wegen kollateralschäden musste die abreise um einen tag verschoben werden. einige haben gemeint, ich sei waghalsig. nun liegt die schweiz nicht am nordpol und ist per bahn oder auto schnell zu erreichen (na gut, ich werde die pflanzung von ein paar bäumen veranlassen, aber ich habe mich tatsächlich an eine gewisse flexibilität gewöhnt, manchmal muss man eben sehr plötzlich weg, für alle fälle also…).

die Schweiz? ich sehe meinen bekannten Baer die brauen hochziehen, „ausgerechnet die schweiz, die schisaison hat noch nicht angefangen, die wandersaison ist zu ende, was also machen sie in der schweiz.“ Baer ist alte schule, müssen sie wissen, wir siezen uns auch noch nach längerer bekanntschaft.

ich besuche im prinzip jedes jahr einen freund, der eine stunde von zürich wohnt, er hat einen berg direkt vor der haustür und eine hütte in einem eng geschnittenen tal ohne elektrizität und warmwasser, duschen tut man in einer holztonne draussen, das wasser stammt von einer quelle weiter oben, die wassertemperatur ist der sonstigen angepasst, erfrischend muss ich sagen. geheizt wird per holzofen, eine moderne version des alten küchenherds. die sonne ist da um zwölf und geht um halbvier. man kann in der sonne sitzen.

Holz sägen ist angesagt und haselruten schneiden, die haselsträucher drohen sonst die matten zu überwuchern. sonst kann man noch den hang hoch auf die nächste matte und von dort noch höher hinauf. das essen ist frugal. abends liest man oder schreibt oder redet. die abende sind lang, denn es wird schnell dunkel.

der noch so kurze aufenthalt an einem solchen ort, den ich in der zwischenzeit ein wenig kenne, mit den geräuschen der wildwasser zu beiden seiten, den bäumen, den hängen, den bergen gegenüber, an denen die ersten sonnenflecken zu sehen sind und die letzten abends, macht einen süchtig nach alleinsein. ich meine nicht die ganze zeit. sowieso kann man auch unter menschen allein sein und nicht nur das, einsam. ich meine das bedürfnis nach stille und einklang mit der umgebung. ich kann dort lange sitzen und schauen, sonst nichts tun und nichts denken. manchmal, aber selten werde ich dort redselig. zum beispiel sagte mein freund irgendetwas über den „innersten kern“ oder sagte er „mitte“, einer seiner lieblingsausdrücke, und wollte auskunft von mir, über mich. ich war etwas in verlegenheit, „mein“ innerster kern oder „meine“ mitte, was ist das? ist das überhaupt ein etwas, das sich beschreiben liesse. eben deshalb war ich in verlegenheit. angenommen, es gäbe den, wenn auch kurzen moment, in dem man durch alle äusseren schichten hindurch zur mitte vorgestossen ist, was passiert da? denn etwas passiert eher, als dass es ist. stille breitet sich aus, ruhe wächst, das ist der augenblick, in dem man „weg“ ist, man ist das: alles was man sieht, hört und wahrnimmt, da ist kein ich und der herrsoundso oder die frau dingsda oder sie, aber alle, nein, die sind garnicht da. da ist nur anwesenheit, kein besitz von so etwas wie ich.

vielleicht ist das ja ich.

ich habe meinem freund dann einen satz gesagt, der unter umständen missverständlich sein könnte: “ da ist nichts“. wenn ich es erfahre, was ein glücksmoment ist, dann ist so etwas wie „mitte“, oder „mein“ ganz hinfällig, gar nicht da, dann fliesst das alles weg, was man meint zu „sein“, da ist nur noch die bewegung des wegfliessens hin zu allem, was gerade vorgeht.

seltsamerweise denkt man/ich an der hütte wenig an „das leben im tal“, den üblichen alltag. hier ist der alltag auch nicht ungewöhnlich, nur, er findet statt in einem anderen universum mit anderen masstäben und anforderungen. es ist für wenigstens einen moment elementar. hier überwiegt die landschaft, die „umgebung“, man wird sehr schnell ein teil davon.

was soll man schon gross sein? wenn man zurückfindet zum elementaren, dann stellt sich heraus, es ist eine verbindung, die so selbstverstândlich ist, dass sie keiner worte bedarf. es ist eine stelle, besser ein vorgang ohne worte. wenn man keinen widerstand leistet, ist man sehr schnell darin und fliesst mit der bewegung mit.

es ist nicht vermessen zu sagen, statt bewegung, dass das universum singt, ich meine, etwas zurückhaltender als pop/rock, aber mit momenten sogar das. wenn man den gesang nicht hört, so sieht man ihn. alles ist das, genau das. selbst in der hütte bei spärlichem licht, im dämmerlicht ist es genau das, ein anhaltender diskreter gesang. vielleicht liegt es an den bergen rings, die hier sehr nahe rücken. so empfindet man es, es ist sehr wenig bewegung und doch ist es eine stetige, die hänge und felsen sind selber eine, die bäume, hell und schwarz bemoost, die überwachsenen steinbrocken des hangs, das gefallene laub fliesst den hang hinunter. seltsamerweise ist die landschaft nicht statisch, nicht nur wegen dem spiel von licht und schatten. die schatten hier sind gewaltig, sie weichen nie ganz, die eine seite des berghangs liegt auch tagsüber immer im schatten, das dorf weiter unten ebenfalls, für monate. die schatten weichen für wenige stunden und rücken wieder vor, wie eine armee, nicht aufzuhalten, die schatten sickern auch in die lichtseite ein, nisten in senken, an sträuchern und graten.

abends verschwindet das licht überm grad gegenüber der hütte zu allerletzt, dann scheint die dunkelheit vollkommen, aber weil vollmond war, zeigt sich aufeinmal die ganze schneewand in gedämpftem licht. der schnee hat sich schon ziemlich tief herunter gewagt, bald hat er das tal und die hänge für sich.

hier geht man fast sofort ganz in der landschaft auf, sie ist so überragend mächtig, dass man sich gerne darauf beschränkt ein wahrnehmender zu sein, man hantiert vielleicht und doch ist man ganz wahrnehmungsorgan. die berge sehen sich an, vielleicht so. wenn ich etwas ist, dann ist ich die ganze landschaft. man fühlt sich deswegen erhoben und doch ganz hinein getaucht. hier erlebt man es sehr deutlich, dass man ganz hinein getaucht ist.

um es noch deutlicher zu sagen, hier träumt man nicht vom „trek to mars“. man ist hier ganz hiesig.

das alles habe ich Baer, meinem bekannten angedeutet, um meinen Schweizer aufenthalt zu „rechtfertigen“. „da haben sie aber was erlebt“, sagte Baer und ich, „wie meinen sie das“. „na so eins sein mit der natur.“, er. etwas spöttisch. ich: „um himmelswillen, wie kommen sie denn darauf.“ „na, sie haben doch.“ „gar nichts habe ich;“, ich kann baer schon mal das wort abschneiden, wenn er spöttisch daher kommt, „ich war auf der hütte meines freundes in der Schweiz, was soll schon da gewesen sein? alles dort ist ganz normal und steil ist es auch und da das laub weg ist, ist die kleine schlucht am pfad schroff, ja, schroff ist die landschaft auch, nicht lieblich.“ „wissen sie, mein lieber Baer“, habe ich gesagt, „die leute gebrauchen worte und denken romantik und haben gar keine ahnung, alles ist dort normal, selbstverständlich. was die gesellschaft und kultur eben nicht ist. das ist der unterschied und mit einer sehr durchschnittlichen sensibilität können sie genau das erleben, was ich angedeutet habe. sie müssen nur ihren persönlichen quatsch zu hause lassen, ihre geschichten und das muss so sein, und dies darf gar nicht sein. verstehen sie, alles gewöhnlich, berge, bergbäche, steinbrocken, schneegrate, täler, matten, wälder, sonne, rauschen, stille.“

Baer sagte dann garnichts mehr.

haben die leute eine ahnung, was romantik ist. das denke ich. Baer ist schon weg. „Tschüs“ hatte er noch gemurmelt, schien nachdenklich, der gute alte Baer.

2 Gedanken zu “Baer und die Romantik

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