versuch 28: die diskreten geräusche des bröckelns

der slogan verschlägt mir die sprache: „aal wäiss männer? brauch kee mënsch.“ das ist nämlich schon länger mein problem. meine persönliche frage. ich rede mich nicht mit uralten geldbesitzern, politik gerontokraten  oder sonstwie patriarchalem heraus. zuhauf gibt es das.

es geht um mich, geht es um mich?

denn: ich selber brauche mich immer weniger, dieses sammelsurium aus geschichten, erinnerungen also, und gewohnheiten. mein ich und meine bedeutung habe ich mir lange genug mühsam eingeredet, mein besonderes ist mir zur last geworden.

als der tod den spiegel zertrümmerte, in dem ich zu existieren schien, war es zuerst ein schmerz und langsam ist eine erleichterung. soweit es mich noch gibt, bin ich marie z.’s erfindung, die mir wohl in fleisch und blut übergegangen ist. ich war gerne so, wie sie mich haben wollte, aber es gelang nie ganz, es blieb ein unauflösbarer rest. ich merkte, ich war nie auf der höhe des bildes. ich habe mir  das vorgeworfen. nach ihrem tod wurde das innere gerangel schlimmer, denn nun offenbarte sich, auch sie war und ist meine erfindung.

während ich das schreibe, vernehme ich im hintergrund die diskreten geräusche des bröckelns, des implodierens, alleine vermag ich unsere beiderseitige konstruktion nicht zu stützen.

ich habe allerdings nicht vermuten können, dass der letzte rest des gebäudes auf diese weise fallen würde: beim betrachten von drei fotos, die marie z. und mich zeigen. wir sitzen an einem tisch nebeneinander, sie hat mich im arm, sie hat ihren kopf an mich gelehnt, sie schaut mich von der seite her an, einmal ernst und einmal lächelnd und in dem augenblick, in dem ich das sehe, verschwindet der unauflöslich scheinende rest, ich erblicke etwas bisher übersehenes, ich fühle die wirkung, es gibt keine worte und keine gedanken, alles ist komplett, kein riss und kein spalt mehr, und ich sehe mich, wie ich sie ansehe, wie ich da sitze und sie lehnt sich an mich und ich sehe ihre hand auf meiner hüfte, ich schaue bloss, ich sehe es tatsächlich zum ersten mal, ich fasse es nicht in worte, dazu gibt es keine veranlassung, aber in meinem gefühl schliesst sich ein kreis, in meinem wortlosen wissen verschwindet ein rätselfleck, sofort, ohne intervall, im sehen geschieht es von anfang an und hat seither nicht aufgehört.

die konstruktion hat sich im nichts aufgelöst. und ob man mich braucht oder nicht braucht, ist sich gleich. keine frage.

ich gehe einfach die strasse hinunter, ich spüre den leichten wind, ich sehe, was ich sehe und der zweifel ist weg, ich wüsste nicht einmal mehr zu sagen, worauf er sich bezog.

ich merke nur, wie sehr ich dieses flackern des zweifels war, wie sehr ich diesen mangel, diesen rest, diesen riss und spalt meinetwegen empfand und wie sich darin eine alte geschichte am leben hielt und nun ist sie weg.

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