marie höre ich sagen: „das allerletzte“

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wenn es regnet, es regnet seit gestern abend unaufhaltsam, ich bin aufgewacht und eingeschlafen und wieder hochgeschreckt und immer noch das laute, das leise trommeln auf dem dach und die böen von wind, der dachstuhl ächzt. geborgenheit? ausgeliefertsein! beides. ich bin mir sehr wohl bewusst, dass die flut steigt, jakob van hoddis, weltende, jeden augenblick und es hebt wieder an.

gelegentlich frage ich mich, welchen einfluss stimmungen, gestimmtheiten, seelische wetterlagen, einzelne oder allgemeine, auf wetter und klima haben. oder ist diese frage zu abseitig, also: ob sie wirken und wie dann, denn sie bestimmen doch mit anderem, wünschen, sehnsüchten und süchten unseren tag. gottseidank sage ich mir dann, dass man nicht alles wissenschaftlicher inquiry unterwerfen kann, dass es noch bereiche gibt, die liegen jenseits davon.

und doch, wenn ich morgens mit nackten füssen auf den nasskalten steinen die zeitung hole (weswegen eigentlich? antwort: wegen den gesichtern, den körperhaltungen und, nicht zuletzt, den fotos von gerade verstorbenen: daraus lese ich den aktuellen weltzustand ab und wenn es nicht regnen würde, könnte ich weinen), dann spüre ich von unten nach oben, wie sehr ich verbunden bin, ein wesen der erde und deren stimmungen sind mir wohl bewusst. wenn etwas mich am leben hält ist es das, der wind im gesicht und die steine unter den füssen, sie sind kalt und nass und riechen nach untergang heute morgen: wieder eine illusion futsch, ein kleiner tod jeden tag, damit das ende nicht zu schlimm wird.

aber diese sinnliche empfindung, auf den steinen, in regen und wind, die geht durch und durch, wie das gehen, wie das hantieren am briefkasten, wie das aufrichten, das umher schauen und das zurück ins haus und ich spüre, wie ein lachen aus dem bauch hochsteigt und dass ich noch am leben bin, jetzt.

heute nacht, da morpheus sich fern gehalten hat, ich vermutete ihn in einer ecke des raums, aber näher kam er nicht, habe ich mir die zeit vertrieben (dabei eilt sie) mit geschmacksentgleisungen (tatsächlich captain america, avengers und andere retter und heroen):  unsere kollektive sehnsucht  nach weltrettung durch irgendeine kraft, aber nur nicht wir selber, wir, also ich und du und die andern.

statt auf dem kopf stehen, auf die füsse kommen, ein  seltsames wesen der erde, ganz eingetaucht in sie (die atmosphäre gehört dazu) und untrennbar ein teil davon und noch dazu eines mit verantwortung, geistigen werkzeugen, stellen wir uns nicht dümmer, als wir sind?

lese ich jedoch die zeitung — das tue ich jeden morgen, ich führe mit nackten füssen keinen eiertanz am briefkasten vor, es geht tatsächlich um die zeitung, ein ritual zu ehren das andenken von marie und jeden morgen das exerzitium der todes anzeigen, der jungen gesichter heute und eine ferne ahnung vom schmerz, der sich breitmacht und ich wünsche den richtigen trost und eine gute reise auf den wegen der toten — dann sehe ich, leider, viel konfusion und wenig einsicht, zum beispel in die denkvoraussetzungen des aktuellen zustands, vielmehr des rutschens, gleitens in etwas unsägliches hinein (vergiftete tote böden zum beispiel, die tiere machen sich aus dem staub, wir aber züchten monstruöses, nehmen gebirge von unvorstellbarem unnötigem leiden in kauf (auch ohne unser zutun gäbe es schon genug) und meinen, wir müssten keine schuld zurückzahlen?).

es regnet, zu meinem trost und ich trinke den café aus, er schmeckt bitter, wenn ich den nasskalten boden unter den füssen nicht spüren würde, was würde ich dann noch tun und denken? dass alles recht ist und richtig? oder das, was wir unter objektivität verstehn, eine einsinnig sture bahn in die verwüstung, nicht aber ein schauen von allen möglichen standpunkten und ein vorsorgliches tun?

ich gehe, wie gesagt auf bilder, und dann das(1), diskret fünf frauen im hintergrund, daneben, dazwischen die weniger wichtigen (?) männer und der vordergrund dann, breitbeinig (vom gestus her), selbstzufrieden, die anzüge mehr oder weniger fesch, meist weniger, wir sind die hoffnungsträger, fragezeichen, noch ein fragezeichen und eine ganze reihe von fragwürdigkeiten, das aber ein ausrufezeichen, dieses foto, und kein schmeichelndes. das gegenteil einer gelungenen inszenierung und das erste hick und ein programmatisches.

marie höre ich sagen: „das allerletzte“. und: „hast du von denen wirklich etwas anderes erwartet?“ „ja“, würde ich sagen und naiv wie ich bin, wieder einmal enttäuscht: „dieses signal ist ein rückfall, fünfziger jahre, finster, eng und geschmacklos.“

ein geschmackloseres foto habe ich in letzter zeit selten gesehn.

punktum.

(vom programm reden wir nicht. noch nicht. hoffnung? erwartung? vielleicht, vielleicht sage ich, aus der zweiten reihe, vielleicht. und wir?)

(1) das foto der neuen regierung

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