„zahltag“, sagte marie

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ist das eine freude, wenn man sich an der eigenen nase fassen muss, besichtigung der eigenen unzulänglichkeit als masochistisches vergnügen: wir hängen alle drin und unsere versäumnisse können wir jetzt bewundern. ob wir wollen oder nicht.

zum samstagsauftakt also eine virtuelle ohrfeige, gefolgt von beschämtem (etwas hilflosem) grinsen, die kolumne der Kleinen Zeitzeugin im LL (Dazu ist die Jugend ja da, Michèle Thoma) von gestern (erst heute morgen gelesen, die cafétasse wäre mir fast aus der hand gefallen, danach noch leichtes vibrieren und die amüsierte, betretene miene erst). wir kommen da nicht so schnell raus und es geht gar nicht um die politikerin, die jüngst in einem interview verärgert bekannte, auch sie habe sich nun ein „SUVchen“ geleistet.

Es lief ja auch alles irgendwie, immer mit einem ausgefransten rand von anfällen schlechten gewissens und halbherzigen rechtfertigungen.

seit dezember 2017 habe ich keinen führerschein mehr, und ich frage mich eingehend, wie ist es so ohne auto, das tägliche leben.

besser?

ja, bewusster.

erstens alles bewusster, wohin gehe ich, wie komme ich dahin, am liebsten noch gehe ich zu fuss, durch die stadt, mein DADA sind treppen und ausser atem finde ich bedenklich und forciere das tempo. jüngst hat mich eine über siebzigjährige einen steilen hang hinauf gehetzt (gehetzt? um gotteswillen, es war das reinste pläsier) und als wir wieder hinunter gingen, machte sie mich auf das beachtliche gefälle aufmerksam und ich war dann doch von mir selber beeindruckt :).

also zweitens, alles ist etwas komplexer geworden, einkaufen mit dem fahrrad, herum strampeln, blaue flecken vom fahren auf waldwegen (ich schaffe es immer wieder unmögliche zwischenfälle zu provozieren, aber umgefallen bin ich nicht), bus und tram sind aufregend wegen der anderen leute, auf bahnfahrten lese ich und schreibe unerhebliches auf, anfangs fühlte ich mich eingeengt, nun freue ich mich und wenn ich mit dem schweizer freund auf seiner hütte bin ohne elektro und fliessendes wasser nur draussen in einem holzfass und morgens feueranzünden, aber mittendrin in etwas urtümlichem, dann bin ich gewiss, dann bin ich überzeugt, wir können ohne weiteres den laden etwas (viel) herunterfahren ohne schaden zu nehmen und der gewinn ist eine ungeahnte qualität des erlebens.

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stattdessen, wenn ich die zeitung aufschlage, auch virtuell, ist die welt zerstückelt, anzeigen, die schreien, kauft, alles, alles, was es so gibt,  das gerade versteigerte G5 netz wird gepriesen, der fachmann strahlt fortschrittfortschrittfortschritt ohne ende aus, toll, dass jetzt mein kühlschrank mit mir redet und die tür aufgeht, wenn ich bÄÄh sage, die heizung schon im voraus weiss, dass ich nachhause komme (so extrem persönlich maschinell) und die sinnliche stimme mich grüsst („oh, mein lieber wie delikat, dass du nun zuhause bist“), aber sonst alles geleckt leer und am ende unvermeidlich auch der klimawandel, die amseln und meisen, die sich rar machen (vielleicht ist es doch nur ein (vorübergehender) streik), in eine mittlere kolumne gequetscht und gleich daneben das nette kleineklitzige „SUVchen“, sie müssen es einfach haben und der diskrete hinweis auf ein paar immobilienschnäppchen.

ein durcheinander, gerührtes, kraut und rüben, nichts passt. (und doch alles, wie man sich am besten etwas vormacht).

Ich habe keine ahnung, wer auf die idee gekommen ist, die welt so zu zerstückeln, wir machen weiter, ungebremst, aber alles muss sich ändern und das meiste soll bleiben, wie es ist, kauftkauftleute, bedenken gestaucht am ende des artikels in einem winzigen abschnitt und als nachbarn die ganzseitigen annoncen der finanzfonds. und es findet sich immer einer, der sagt frank und frei, das ist kein kapitalismus, das ist doch bloss marktwirtschaft und die paar auswüchse.

die gesamtsicht?  ist einer verantwortlich?  und überhaupt, lernt man das doch in der schule,  eine ordentliche ansicht zu bilden.

jo, watgelifft und anhaltendes bösartiges kichern.

es scheint hoffnungslos und lästern erleichtert.

ob es auch hilfreich ist.

die negation mit der negation bekämpfen, ein beliebtes mittel von marie, ich sehe die methode nun deutlicher, in meinem fall irritierte sie ungemein (ihr erstes ziel) und im zweiten anlauf war sie wirksam.

die wirkung einer toten.

kann man über tod „sensationslustig“ reden (in der gleichen zeitung ein artikel über eine veranstaltung mit dem titel „leben und tod“) und wie geht das; auch hier wäre downsizing empfehlenswert, bescheiden, bescheiden und endlich einmal normal (nicht hysterisch, angstgepackt oder zynisch) darüber reden, dass ein leben, in dem der tod kein inklusiver teil ist (gedacht, gesehen, gelebt) kein leben ist, nur eine schreiende reklame mehr, wie man allem ausweicht, was zählt.

„zahltag“, sagte marie eines tages, als wir das thema streiften.

 

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