was ist melancholie

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und dann beginnen wir von neuem. fangen den tag an, als ob nichts wäre, lesen nachrichten und tun so, als erschräken wir nicht, trinken kaffee und denken nicht an die, die ihn angepflanzt haben, wir gehen die strasse entlang und haben alle vergessen, die diese häuser einst bauten. leute gehn mit hunden vorbei, manchmal bücken sie sich, kramen in plastiktüten,  katzen streunen herum, an einer ecke  der stadt sitzt einer, sitzt eine und bettelt und der himmel ist grau, in der nacht hat es geregnet, oder die sonne scheint und manchmal fahren autos vorbei, das ist schon verwunderlich, aber es ist sonntag. und überall diese seltsame ruhe vor dem montagssturm.

ich finde das alles nicht selbstverständlich, nicht einmal alltäglich, sowieso halte ich es nicht für normal, was ist normal, frage ich, was ist selbstverständlich.

wenn ich mit anderen menschen bin, dann spüre ich die fremdheit ihres lebens, sie sprechen, sie bewegen sich, sie gestikulieren und was sie sagen und wie sie sich geben, deutet darauf hin, dass sie jüngst, ich meine in den letzten jahren, vielleicht dem letzten jahrzehnt, keine unterbrechung erlebt haben, kein aus ihrem gewohnten hinaus gesetzt werden, kein hinaus geworfen werden, sondern einen kontinuierlichen fluss.

ich spüre es an dem gefühl, das in ihren wörtern und sätzen steckt, in ihrer art zu sitzen, in ihren erzählungen; es ist ihr gefühl, das anders ist, ihr optimismus, ihr impetus, ihr antrieb.

und was haben sie für pläne? habe ich pläne? wenn es einen unterschied gibt, ich meine einen unterschied von bedeutung, dann mache ich ihn fest an diesem unterschied, einem unterschied, den ich als welt erlebe, dort draussen, bei den andern, die, offensichtlich, das spüre ich, denn es trifft mich, eine andere welt bewohnen, eine welt des ohne wesentliche unterbrechung fortlaufenden lebens, von gewohnheiten, fest installierten, und einer bestimmten art zu plaudern, einer art zu lachen, zu lächeln, geschichten zu erzählen, geschichten ihres anderen lebens, die alle, aber auch alle darauf hinaus laufen, dass keiner von den redenden, gestikulierenden, lachenden und lächelnden, niemand von den geschichten erzählern aus seiner welt der selbstverständlichkeiten hinaus befördert wurde. gegen seinen willen meine ich, ungefragt meine ich, gewaltsam also und unter protest. manchmal verstehe ich alles, was sie sagen und doch verstehe ich gar nichts. denn ich fühle mich, gegen meinen willen, ausgeschlossen. und ich weiss sehr genau, dass keiner von den anwesenden mich ausschliessen will, im gegenteil und ihre freundlichkeit ist ohne gleichen.

nie spüre ich dermassen, dass ich in einer anderen welt gelandet bin, als wenn ich mit menschen zusammen bin, die auf eine kontinuität ihres lebens setzen können.

Edvard_Munch_-_Melancholy_(1893)

ich habe nämlich keine pläne, ich beginne so langsam mich in einer neuen welt zu orientieren, in die ich gegen meinen willen geraten bin, ich habe kaum orientierungspunkte, ich bin desorientiert, ich schwanke, ich zögere, ich lebe für den tag, in den tag hinein, hinter mir klafft ein abgrund, ich kann nicht zurück, ich kann nur nach vorne, hinter mir ist dunkelheit und oft erblicke ich vor mir ein zwielicht. es ist das zwielicht eines gloomy jahrhunderts, erfüllt von tausend und abertausend schreien und stimmen, manchmal will ich nur noch weg, manchmal bin ich nur fremd in dem fremden, manchmal will ich nichts hören, nichts sehen, nichts spüren, manchmal scheint die sonne, manchmal leuchtet das wintergrün unter den bäumen.

wenn man mich fragte, wer bist du, was das gleiche wäre, wo bist du, dann würde ich von einem ort reden, der verlust heisst, von einem schwarzen loch, das ein leben, das meine pläne verschluckt hat, ich erinnere mich noch an das gefühl dieser pläne, an das, was ich tun wollte, an das gefühl freudiger erwartung, an die neugier, was noch kommt, an die bereitschaft, vor allem das, ich war bereit, mich einzulassen, mich zu stellen.

aber es ist nur eine erinnerung und die verschwimmt zusehends.

wenn die frage gestellt ist, und was haben sie für pläne, nicht erst dann habe ich die gesellschaft schon verlassen, ich meine, alles lief schon von beginn an auf diese frage zu, was haben sie für pläne, bei allem was gesagt und erzählt wurde, waren die plâne anwesend, alles, was schon getan war und alles, was noch getan werden würde und ich sitze noch da, nicke, sage auch einige sätze, sage, ich habe keine pläne, da bin ich schon um die nächste ecke, während ich noch da sitze und gleichzeitig ist schon das meiste von mir hinaus und alleine in der kalten luft und immer weiter weg, während ich noch, etwas verloren, so tue, als sei alles normal. alles wie üblich und alles geht weiter, wie normal, mit diesem anschein.

manchmal habe ich den eindruck, morgens beim erwachen, ich fange bei null an, jeden tag fange ich wieder bei null an.

man könnte auch sagen, objektiv gesprochen meine ich, mit einem gewissen neutralen abstand betrachtet, seelisch hängt der ja in der luft, der verspürt das altvertraute gefühl einer kontinuität nicht mehr, der hat sich  verloren in einem niemand- und nirgendsland.

man könnte auch sagen, es ist eine reduktion, ich sitze da und spüre wie ich in eine tiefe gerate, eine schwere eines innen, das mich stumm macht, in einem stillen zimmer allein. dieses zimmer ist gefüllt mit abwesenheit. weil man das halt so tut, gehe ich hinaus, gehe ich in den wald, gehe ich zum bäcker, in den laden gehe ich, zum café trinken gehe ich, manchmal stehe ich auf und gehe in die stadt, betrete läden, befühle stoffe, blättere in büchern, sitze am fenster eines cafés und sehe hinaus, sehe den passanten zu, schaue auf hosen, auf jacken, denke, der hat einen guten geschmack, hat keinen, hat einen seltsamen.

ich gebe meinem zustand einen namen, nenne ihn exterritorial, nenne ihn neue welt, nenne ihn melancholie, eine ganz andere, eine allumfassende.

du siehst so aus, als hätten die hühner dir das brot weggepickt, sage ich dann zu mir selber, du siehst bei den andern alles, was du nicht mehr hast, sage ich dann zu mir. ist es neid, frage ich mich dann, und die antwort ist, nein, aber es ist etwas ganz fremdes, das mich entfernt, sofort bin ich tausend kilometer weit weg, in einem anderen land, dort scheinen andere sterne, dort sind die tränen getrocknet, dort sitze ich mit meiner melancholie.

ich vermisse keineswegs die intensität, es ist die gleiche wie vorher, jedenfalls ist es eine verwandte, nur hat sie sich umgesetzt in eine neue verlust melancholie, eine abwesenheits melancholie, eine das ganze vorherige leben ist weg melancholie.  wir

Accademia_-_La_Meditazione_by_Domenico_Fetti_1618

leben in der gleichen umgebung, denke ich dann, erlebe ich dann,  und doch in ganz verschiedenen ländern des lebensgefühls. bei jedem gesagten satz wird das deutlich, beijedem nicken und lachen und lächeln, die kommen aus einem ganz fremden land, denke ich dann, fühle ich dann und dort kann ich nicht hin. selbst wenn ich wollte.

das ist kein gefühl, das man liebt, so auf anhieb und nimmt es mit, gerne nimmt man es nicht mit und wenn man läuft, es ist immer schon da, wenn man das ziel erreicht.

haben sie pläne und welche, wenn sie welche haben. keine, bin ich versucht zu sagen, es sei denn … aber das ist kein plan, das ergibt sich, das hat sich ergeben, nun ist es so, dass  ich mit ihr sitze,  mit ihr gehe und  stehe, mit meiner melancholie und sie ist tief,  unergündlich, meine melancholie.

 

 

 

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