I
„Je m’appelle Antoine Duval“
ça commence quand-même à peser, muss man das noch sagen? die maskierten überall und man muss raten, wie sie drauf sind, keine handshakes, von umarmungen, akkoladen etc gar nicht zu reden und jedesmal, wenn ich eine maske überziehe, beginne ich an unerwarteten stellen zu schwitzen. einige murmeln papieren oder stoffmässig unverständliches, stimmen gedämpft, leicht verzerrt, der alltag ist komplizierter geworden.
voreilige reisepläne sind schon wieder unter, der schengenraum, also ich, darf erst am 15. Juni in die schweiz, vorerst keine hüttenromantik mit holzfeuer und eiskaltbad in der holztonne und nachts kein mäuse gewisper und kein rauschen des bergbachs und keine ausflüge an steilhängen, keine freundlichen gespräche und keiner sagt, was solls.
Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
bin ich frustriert?

gestern hatte ich den richtigen zettel nicht dabei et je rentrai bredouille, selber erstaunt über meinen unmutsanfall, der, ich hätte es wissen können, sich tagelang vorbereitet hat, angestaut hinter forcierter höflichkeit. die andern können ja auch nichts dafür und ich bin nicht der einzige, der sich unwohl fühlt mit den neuen riten.
ich fotografiere schönheiten. lese die eintragungen letzte jahre von Lou Andreas-Salomé. auf dem vorsatzblatt steht handschriftlich, bleistiftig ein datum: july 1993 und ein name: Marie Z.. ich stand vor einigen tagen unschlüssig vor dem regal, habe buchrücken betastet und eben dieses kleine graublaue bändchen, schon etwas verblasst , herausgenommen und als fingerzeig aufgefasst, ich kann ja von den dingen halten, was ich will, manchmal ist der begriff zufall nur eine ausrede.

schon länger habe ich nicht mehr den namen Marie Z. hin geschrieben, aber Marie denke ich jeden tag und dann, jedes mal, betrete ich eine andere landschaft, gehe anders herum, für eine weile, bin ich ein fremder, bin ich gar nicht hier.
jeden tag gibt es wenigstens eine frage an sie.
manchmal frage ich und kenne nicht einmal die frage.
manchmal lautet sie, was wird aus uns.
manchmal sage ich nur, verstehst du das.
manchmal gibt es kein fragen.
manchmal sitze ich da mit ihr, ohne sie, dann braucht es keine bewegung und keine gedanken.
manchmal frage ich, gehe ich nicht in die irre.
manchmal höre ich sie. sie sagt, du verbietest dir, noch für eine weile zu leben.
inzwischen, sage ich ihr, liebe ich die rosen.
manchmal sage ich ihr, sieh die schönheit, die nicht lange bleibt.
einmal hörte ich sie sagen, noch im halbschlaf am frühen morgen war das, ich habe dir jemand geschickt.
manchmal ist es so, als erlebe ich mein ganzes leben.
manchmal habe ich angst.
manchmal mache ich mir gar keine sorgen.
manchmal gehe ich ins dunkel und gehe ich ins helle.
aber das dunkel schreckt mich nicht mehr.
sehr oft frage ich sie, wie könnte eine umkehr geschehen.
wir sind noch immer am reden.
Inzwischen, sagt sie, wie wäre es, du tust das naheliegende.
freundlich sein, sagt sie, wie wär es damit.

manchmal rufe ich meine drei Säulenheiligen an, den Simplizissimus, den Candide und Jacques, le fataliste.
unweigerlich höre ich eine bekannte stimme sagen: „Je m’appelle Antoine Duval“.
II
VERGNÜGUNGEN
Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen
Das wiedergefundene alte Buch
Begeisterte Gesichter
Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten
Die Zeitung
Der Hund
Die Dialektik
Duschen, Schwimmen
Alte Musik
Bequeme Schuhe
Begreifen
Neue Musik
Schreiben, Pflanzen
Reisen
Singen
Freundlich sein
B.B.
III
der bittere rand
unten motort es rasenmähernd in die stille? letzte scharmützel von raben, staren und spatzen am nachbarlichen kirschbaum, in den pausen. aufgeregt, animiert, eindeutigbegeistert, entzückt. selbst die raben krähen wollüstiger, rabenzart. es windet ein wenig, das bekannte birkengewoge oder wiegen, dazu: ein paar kecke wölkchen hängen im blau.
ich habe von „den drei“ geträumt, abstract und sinnlich zugleich, fühlbar, sehr angenehm, ein bewegtes, sich veränderndes, proteisches. damit wache ich auf, damit liege ich noch eine weile mit geschlossenen augen.
beim ersten café setzt ein gerede über wirtschaft ein und ich sehe vor mir heillose manöver, in der sackgasse. der wechsel der radiostation ändert nur die sprache, der inhalt auf allen kanälen ist trostlos, als sei das denken in alternativen verloren gegangen. das Ganze gerät wieder aus dem blick.
wir stecken, nach einer kurzen pause, knietief in den alten mustern, aber schlimmer noch. c’est désolant.
was ein failed state, ein crumbling imperium für die menschen bedeutet: minneapolis. seit jahren wird die polizei dort militärisch aufgerüstet. die das getan haben, sind staatsvertreter. es schmerzt, sich das anzusehen.
darüber wird der café kalt und bitter.
im kirschbaum tschilpen und schnarren. der rasenmäher ist verstummt.
samstagsfrieden mit bitterem rand.
