„ich wollte deine stimme hören.“

jedes jahresende läuft auf das datum zu, man sitzt da mit fragen, man fragt sich, was sind das für gefühle und irgendwo, man erinnert sich kaum, hört man den satz:“ich wollte deine stimme hören.“ am telefon sagt das jemand zu jemand und der satz trifft einen.

wir reden lieber nicht von wunden stellen, von traumata und seelischen blows, das leben ist so, life is a bitch. und das, was passiert, ist dann scheisse. es ist so. aber der satz hilft nicht.

was man feststellt ist die erstaunliche tatsache, dass man es erträgt. man lernt langsam es zu ertragen, obschon es unerträglich ist. man kann das offensichtlich. man taucht in den alltag ein, tut dies und jenes, aber die zeit heilt nicht. den satz sollte man vergessen. die bilder rund um das datum vergehen auch nicht. man stellt sich vor, wie ihre stimme war. man weicht dem schmerz aus, das macht ihn nicht kleiner. das leben rollt darüber weg. krisen lenken ab, man hat andere sorgen, aber genau in diesen sorgen ist das ganze erleben präsent. nun vermisst man sie noch mehr.

ich versuche, mir rechenschaft abzulegen, ob mein leben angesichts dieser einen erfahrung standhält. und manchmal bezweifle ich das.

Baer sagte kürzlich: „es geht ihnen besser, das freut mich.“ manchmal habe ich deswegen ein schlechtes gewissen.“, sagte ich. das sei keine nette dekoration für den alltag, sagte Baer.

„ich habe mich verändert.“, sagte ich einmal und es klang verzweifelt. „seit sie nicht mehr da ist, verändere ich mich jeden tag.“ Baer: „was ist daran auszusetzen. Herr Keuner erbleichte, als der bekannte sagte: sie haben sich aber garnicht verändert.“ „sie haben recht.“, sagte ich, „aber ich habe mich ohne sie verändert, ihr TOD hat mich umgekrempelt. ich tue nichts besonderes und freue mich über jeden kleinen fitzel. sogar mitten im verkehr an einer kreuzung schaue ich ringsum und empfinde eine genugtuung, die erschreckend ist.““ also hat sie doch mit der veränderung zu tun;“, sagt Baer. „ich möchte, dass sie es sieht.“, sagte ich. „ihr abgang war auf der höhe ihres wesens. ich war da sehr klein.“ Baer ist diskret, er fragt nicht nach, wenn es zu persönlich wird. „das ist mir zu persönlich.“, sagte er bei einer gelegenheit.

„sie sehen mitgenommen aus.“, sagt Baer. wenn ich antworte, „ich bin versackt, seit tagen versacke ich und zwar so tief, dass ich denke, da gibt es keinen ausgang“, will Baer gar nicht wissen, was es mit dem versacken auf sich hat.

„das datum macht es.“, sage ich. „danach gab es eine stille und einen frieden, der jenseits von freude und leid liegt. aber daran kann man sich nicht erinnern, entweder man erlebt es oder es ist blosses geschwätz.“ wenn ich so rede, schweigt Baer.

„man kennt ja , was um tod und trauer herum gesagt wird. ich habe einiges darüber gelesen.“, sage ich, „im ernstfall hilft es nicht. manchmal denkt man, es ist ein anderer, der das erlebt. man kneift sich, manchmal fühlt man buchstäblich nichts. die gefühle sind so erdbebenhaft, dass sie sich selber ausschalten. kurzschluss. buchstäblich.“

„um die toten muss man sich keine sorgen machen. das schlimmste ist, wenn man realisiert, vielleicht habe ich sie nicht genug geliebt, aber man kann das nicht mehr ändern, selbst man es sehr stark will, es geht jetzt nicht mehr, sie mehr zu lieben, als man es getan hat. es gibt eine grenze. das erfährt man erst nachher. niemand hat es einem sagen können. die leute sind , wenn ich das so sagen darf, ahnungslos, was den tod anbelangt. das habe ich an einigen reaktionen feststellen können, auch an den eigenen. das ist recht erbarmungslos als erfahrung.“

„man prüft dann auch sätze wie, die trauer hat nichts mit dem toten zu tun, die überlebenden betrauern sich selber. der satz setzt die erfahrung herab, insinuiert, es sei eine verstärkte form von selbstmitleid. gewissermassen eine schwäche. und schwäche ist nicht gut, oder?“ ich schaue Baer an, aber er sagt nichts. „ohne zweifel“, sage ich, „werden alle schwachpunkte getriggert, alle knöpfe werden gedrückt. wie geht das allein weiter, geht das überhaupt, das habe ich mich auch gefragt. es geht. es ist vielleicht kein schöner anblick, sich so klein zu sehen, aber es geht, man erträgt das. man ist halt nicht der held, für den man sich hielt.“

„wer war sie.“, sagt Baer. ich denke, ich habe nicht richtig gehört. wer war sie? sie war eine schöne frau, die körperliche entstellung durch die krankheit hat sie nur noch schöner gemacht. ich war ja ahnungslos, als ich sie kennen gelernt habe. das meiste habe ich erst mit ihr gelernt, fast alles ist das.

„warum sagen sie dann, sie ist weg.“, sagt Baer. die frage setzt mich schachmatt. ich sage, „lassen wir es gut sein.“ Baer nickt. sie war eine ganze welt, denke ich. jedesmal denke ich das, wenn ich an ihrem foto vorbei komme, also jeden tag.

„nostalgie“, sagt baer, „hat etwas rückwärtsgewandtes.“ „ich bin kein nostalgiker.“, sage ich. „ich bin nicht auf der suche nach der verlorenen zeit. der raum, in dem alle vergangenen dinge sind, hat eine tiefe und weite und einiges ist eben weiter weg, aber präsent, in einem gewissen sinne ist man dieser raum, jetzt.““ ich habe“, sage ich, „den Zauberberg immer vorgezogen. wenn man den roman zu ende gelesen hat, weiss man, dass Castorp die ganze zeit schon mit aufgepflanztem bajonett über das schlachtfeld des ersten weltkriegs stolpert. dazu hört man Schuberts vertonung: am brunnen vor dem tore. die chauchaterien des zauberbergs münden direkt in die katastrophe.“

Baer fragt nicht nach der persönlichen anwendung. das tue ich selber und Baer nickt, als ich sage: „vor lauter angst, den andern zu verlieren, kann man ihn verpassen.“

„ich wollte deine stimme hören.“, das denke ich schon die ganze zeit.

Baer und die Romantik

Für ein paar tage war ich verreist, wegen kollateralschäden musste die abreise um einen tag verschoben werden. einige haben gemeint, ich sei waghalsig. nun liegt die schweiz nicht am nordpol und ist per bahn oder auto schnell zu erreichen (na gut, ich werde die pflanzung von ein paar bäumen veranlassen, aber ich habe mich tatsächlich an eine gewisse flexibilität gewöhnt, manchmal muss man eben sehr plötzlich weg, für alle fälle also…).

die Schweiz? ich sehe meinen bekannten Baer die brauen hochziehen, „ausgerechnet die schweiz, die schisaison hat noch nicht angefangen, die wandersaison ist zu ende, was also machen sie in der schweiz.“ Baer ist alte schule, müssen sie wissen, wir siezen uns auch noch nach längerer bekanntschaft.

ich besuche im prinzip jedes jahr einen freund, der eine stunde von zürich wohnt, er hat einen berg direkt vor der haustür und eine hütte in einem eng geschnittenen tal ohne elektrizität und warmwasser, duschen tut man in einer holztonne draussen, das wasser stammt von einer quelle weiter oben, die wassertemperatur ist der sonstigen angepasst, erfrischend muss ich sagen. geheizt wird per holzofen, eine moderne version des alten küchenherds. die sonne ist da um zwölf und geht um halbvier. man kann in der sonne sitzen.

Holz sägen ist angesagt und haselruten schneiden, die haselsträucher drohen sonst die matten zu überwuchern. sonst kann man noch den hang hoch auf die nächste matte und von dort noch höher hinauf. das essen ist frugal. abends liest man oder schreibt oder redet. die abende sind lang, denn es wird schnell dunkel.

der noch so kurze aufenthalt an einem solchen ort, den ich in der zwischenzeit ein wenig kenne, mit den geräuschen der wildwasser zu beiden seiten, den bäumen, den hängen, den bergen gegenüber, an denen die ersten sonnenflecken zu sehen sind und die letzten abends, macht einen süchtig nach alleinsein. ich meine nicht die ganze zeit. sowieso kann man auch unter menschen allein sein und nicht nur das, einsam. ich meine das bedürfnis nach stille und einklang mit der umgebung. ich kann dort lange sitzen und schauen, sonst nichts tun und nichts denken. manchmal, aber selten werde ich dort redselig. zum beispiel sagte mein freund irgendetwas über den „innersten kern“ oder sagte er „mitte“, einer seiner lieblingsausdrücke, und wollte auskunft von mir, über mich. ich war etwas in verlegenheit, „mein“ innerster kern oder „meine“ mitte, was ist das? ist das überhaupt ein etwas, das sich beschreiben liesse. eben deshalb war ich in verlegenheit. angenommen, es gäbe den, wenn auch kurzen moment, in dem man durch alle äusseren schichten hindurch zur mitte vorgestossen ist, was passiert da? denn etwas passiert eher, als dass es ist. stille breitet sich aus, ruhe wächst, das ist der augenblick, in dem man „weg“ ist, man ist das: alles was man sieht, hört und wahrnimmt, da ist kein ich und der herrsoundso oder die frau dingsda oder sie, aber alle, nein, die sind garnicht da. da ist nur anwesenheit, kein besitz von so etwas wie ich.

vielleicht ist das ja ich.

ich habe meinem freund dann einen satz gesagt, der unter umständen missverständlich sein könnte: “ da ist nichts“. wenn ich es erfahre, was ein glücksmoment ist, dann ist so etwas wie „mitte“, oder „mein“ ganz hinfällig, gar nicht da, dann fliesst das alles weg, was man meint zu „sein“, da ist nur noch die bewegung des wegfliessens hin zu allem, was gerade vorgeht.

seltsamerweise denkt man/ich an der hütte wenig an „das leben im tal“, den üblichen alltag. hier ist der alltag auch nicht ungewöhnlich, nur, er findet statt in einem anderen universum mit anderen masstäben und anforderungen. es ist für wenigstens einen moment elementar. hier überwiegt die landschaft, die „umgebung“, man wird sehr schnell ein teil davon.

was soll man schon gross sein? wenn man zurückfindet zum elementaren, dann stellt sich heraus, es ist eine verbindung, die so selbstverstândlich ist, dass sie keiner worte bedarf. es ist eine stelle, besser ein vorgang ohne worte. wenn man keinen widerstand leistet, ist man sehr schnell darin und fliesst mit der bewegung mit.

es ist nicht vermessen zu sagen, statt bewegung, dass das universum singt, ich meine, etwas zurückhaltender als pop/rock, aber mit momenten sogar das. wenn man den gesang nicht hört, so sieht man ihn. alles ist das, genau das. selbst in der hütte bei spärlichem licht, im dämmerlicht ist es genau das, ein anhaltender diskreter gesang. vielleicht liegt es an den bergen rings, die hier sehr nahe rücken. so empfindet man es, es ist sehr wenig bewegung und doch ist es eine stetige, die hänge und felsen sind selber eine, die bäume, hell und schwarz bemoost, die überwachsenen steinbrocken des hangs, das gefallene laub fliesst den hang hinunter. seltsamerweise ist die landschaft nicht statisch, nicht nur wegen dem spiel von licht und schatten. die schatten hier sind gewaltig, sie weichen nie ganz, die eine seite des berghangs liegt auch tagsüber immer im schatten, das dorf weiter unten ebenfalls, für monate. die schatten weichen für wenige stunden und rücken wieder vor, wie eine armee, nicht aufzuhalten, die schatten sickern auch in die lichtseite ein, nisten in senken, an sträuchern und graten.

abends verschwindet das licht überm grad gegenüber der hütte zu allerletzt, dann scheint die dunkelheit vollkommen, aber weil vollmond war, zeigt sich aufeinmal die ganze schneewand in gedämpftem licht. der schnee hat sich schon ziemlich tief herunter gewagt, bald hat er das tal und die hänge für sich.

hier geht man fast sofort ganz in der landschaft auf, sie ist so überragend mächtig, dass man sich gerne darauf beschränkt ein wahrnehmender zu sein, man hantiert vielleicht und doch ist man ganz wahrnehmungsorgan. die berge sehen sich an, vielleicht so. wenn ich etwas ist, dann ist ich die ganze landschaft. man fühlt sich deswegen erhoben und doch ganz hinein getaucht. hier erlebt man es sehr deutlich, dass man ganz hinein getaucht ist.

um es noch deutlicher zu sagen, hier träumt man nicht vom „trek to mars“. man ist hier ganz hiesig.

das alles habe ich Baer, meinem bekannten angedeutet, um meinen Schweizer aufenthalt zu „rechtfertigen“. „da haben sie aber was erlebt“, sagte Baer und ich, „wie meinen sie das“. „na so eins sein mit der natur.“, er. etwas spöttisch. ich: „um himmelswillen, wie kommen sie denn darauf.“ „na, sie haben doch.“ „gar nichts habe ich;“, ich kann baer schon mal das wort abschneiden, wenn er spöttisch daher kommt, „ich war auf der hütte meines freundes in der Schweiz, was soll schon da gewesen sein? alles dort ist ganz normal und steil ist es auch und da das laub weg ist, ist die kleine schlucht am pfad schroff, ja, schroff ist die landschaft auch, nicht lieblich.“ „wissen sie, mein lieber Baer“, habe ich gesagt, „die leute gebrauchen worte und denken romantik und haben gar keine ahnung, alles ist dort normal, selbstverständlich. was die gesellschaft und kultur eben nicht ist. das ist der unterschied und mit einer sehr durchschnittlichen sensibilität können sie genau das erleben, was ich angedeutet habe. sie müssen nur ihren persönlichen quatsch zu hause lassen, ihre geschichten und das muss so sein, und dies darf gar nicht sein. verstehen sie, alles gewöhnlich, berge, bergbäche, steinbrocken, schneegrate, täler, matten, wälder, sonne, rauschen, stille.“

Baer sagte dann garnichts mehr.

haben die leute eine ahnung, was romantik ist. das denke ich. Baer ist schon weg. „Tschüs“ hatte er noch gemurmelt, schien nachdenklich, der gute alte Baer.

das plagiat

die toten haben den vorteil, sage ich meiner Enkelin, als wir Blumen aufs Grab bringen, dass man bei ihnen keine maske tragen muss und keinen passierschein braucht. sie kichert. wir säubern das grab arbeitsteilig, die vergoldeten buchstaben haben an farbe verloren, ich sage ihr, wer was in der abfolge der generationen war und verhaspele mich, denn ich habe mich selber ausgelassen und sie lacht, opa, das ist doch mein urururgrossvater und ich frage mich ernstlich, was ich mir gedacht habe dabei, habe ich mich etwa um eine generation jünger gemacht? die bäume rings stehen stumm, aber farbig, stimmen wispern, es ist nur der wind, ich sehe fotografien vor mir und beschreibe sie und mich mit im bild. das liegt wohl an sense 8 der wachovskis, der serie, die ich mir gestern viel zu lange reingezogen habe. dazu höre ich klänge von Pärt aus dem stück anima, für einen augenblick höre ich die töne tatsächlich, wirklich ist es aber doch nur der wind in den bäumen, dann frage ich, nachdem ich die blumentöpfe hin und her geschoben habe, ist doch passabel so oder nicht, sieht doch gut aus, das sage ich zweifelnd und meine enkelin kuckt kritisch hin und sagt dann, ja. wir gehen.

in einer literaturzeitschrift stosse ich auf einen satz von Terésia Mora aus tagebuchaufzeichnungen und bin sofort elektrisiert. „Ich bin vermutlich gekränkt, dass auch ich von der Sinnlosigkeit angefochten werden kann.“ Kann man auch eindrücke und gefühle plagiieren? jedenfalls sehe ich den satz als eigenen an, sofort, mit anführungszeichen natürlich.

so frage ich mich schon einige zeit, ob ich nicht gänzlich auf pump lebe und mir mein leben und meine gefühle von allem möglichen einflüstern lasse, von sätzen, wie eben, von gesichtern, die jäh wie ein blitz die anwesenheit von schönheit bestätigen, überhaupt, nämlich das prinzip davon, von dingen, die mich in trauer stürzen, von waldspaziergängen und hängen, die unversehends ein glücksgefühl auslösen, das fast erschreckend ist.

da braucht es nicht viel. man verschwindet in einer landschaft und fühlt sich doch deutlicher und klarer als je. man ist, wenn man sich keine rüstung zulegt, durchlässig und die aussengrenzen sind gar nicht fest. alles geht durch einen durch. was ist man dann?

genauso wie irgendeine meldung in der zeitung einen anfall von sinnlosigkeit hervorrufen kann. man sagt eben noch: was soll das, meint aber schon alles und sich selber mit. und im gleichen augenblick schaut man auf und das zimmer mit allen gegenständen darin ist rätselhaft fremd.

dann aber sagt man sich, das alles ist doch nur geborgt, gefühle, eindrücke, man ist viel zu leicht affiziert und das ich nur ein plagiat. gottseidank, dass keiner einem auf die spur kommt. man schreibt doch unentwegt irgendwo ab, ist eine zitatensammlung ohne fussnoten, eine gestohlene photothek, ein bündel entwendeter musiknoten, mehre bands spielen zugleich.

hoffentlich, sagt man sich, ist die szene nur weit genug, reicht die landschaft bis an den horizont und immer weiter, hoffentlich, so flüstert man sich zu, ist die aussicht nur nicht zu eng. hoffentlich, so denkt man, hat man auch genug abgekupfert und ist schon auf der suche nach dem noch unbekannten, das man um keinen preis verpassen will.

der satz von Terésia Mora über die Sinnlosigkeit erfüllt mich mit einer sonderbaren genugtuung, ich fühle mich erkannt und durchschaut, ja, ertappt, und der effekt ist sinn, ja, das macht sinn, sage ich mir und fühle mich keineswegs leer und auch nicht irritiert, seltsam, dass mit dem satz etwas in mir zum halten kommt. kein schwindelanfall von wegen leere und dunkelheit.

auf friedhöfen jedenfalls ist es sehr friedlich und heiter um die zeit, selbst nachmittags in leichtem nebelschleier. man fühlt sich nahe und geht unbeschwert weg.

dass man das noch kann ( provisorische anmerkung)

im grunde würde ich am liebsten eine ganz andere geschichte erfinden, nicht die geschichte einer grossen schwäche, als ob schwäche ein makel wäre in einer welt der machtdemonstrationen. also schlage ich einen anderen begriff vor, der heisst verlassenheit. als gepäck, gefühl, wahrnehmungsfilter, tendenz: verkriechen. kein zu fester tritt, auftritt zurückhaltend, vielleicht übernett.

es ist eine art provisorischer realität, man hofft, dass sie vorüber geht.

und selbst wenn es nicht so wäre, ein verlust hinterlässt narben, selbstverständlich.

heute morgen las ich die todesanzeige für eine junge frau, 91 geboren.

auch zu ihrem 67 geburtstag bedauert man sich nicht. das leben ist etwas kompliziert, aber das ist es meistens.

es ist ein regentag mit gewitter. regen beruhigt, aber nicht zu sehr, regen ist eine zweischneidige sache. covid spaltet die gemüter, sie brauchen einander, aber die zukunft des demokratischen macht einem sorgen, das neue normal ist nicht sehr verlockend. einige sind schon ganz ausgeflippt. ich sage nicht, auf welcher seite. inzwischen gibt es seltsame koalitionen, auch auf beiden seiten.

man möchte sich dort befinden, kein ort, nirgends, wo dieser widerspruch negiert ist.

ich habe gerade eine zeitung abbestellt, sie erschien mir aufeinmal sehr provinziell. die neunormale übereinstimmung ist nicht lustig. man sehnt sich geradezu nach anderen standpunkten, ansichten, meinungen, wasweissich.

zurück zum thema, die schwäche der argumentation, der statistik, des gemüts, die verlassenheit, von allen guten geistern, ja, die verzweiflung angesichts des verschwindens von personen, arten, gewissheiten, ja, des sommers im regenloch, erschüttert. man turnt an abgründen, under the vulcano, man traut seinen augen kaum. man reibt sich die augen, hat man dies oder jenes wirklich gehört oder nur geträumt. gestern habe ich vom gespräch mit einer mongolischen frau geträumt. das liegt an meiner lektüre. Sombrun, Tesson, Bortoletto, Urbansky. es gibt starke bilder, die verfolgen einen in den schlaf. geschichten des schwindens von seen, flüssen und illusionen.

der café kommt aus äthiopien, der regen fällt vom himmel, die gewässer schwellen an, die tomaten faulen auf dem strauch, die dahlien lassen die köpfe hängen, das gras spriesst, die bäume tropfen.

geschäfte werden abgeschlossen, wälder abgeholzt, flächen versteppen, die provenienz des holzes mit der bezeichnung „von hier“ ist sehr fraglich. im regen keine elstern, keine raben und keine tauben. der regen rauscht, beharrlich. jeder kann das sagen, das ist nichts besonderes.

gestern war mein gemüt wie beton, erst abends taute es etwas auf. manchmal ist man vielzuviel mit sich selber beschäftigt, als sei man in ein brunnenloch gestiegen, das ausgetrocknet ist. man findet nicht einmal gerümpel. aber es riecht nach moder. manchmal fühlt man sich innen nicht sehr lebendig. manchmal vergisst man, dass jemand tot ist und argumentiert mit ihm. warum er so lange wegbleibe und was er denn dort treibe. manchmal spielt es keine rolle, ob jemand tot ist, denn er ist noch immer gegenwärtig. was heisst schon innen oder aussen.

im frühling 2017 war M. alleine in Portugal. um zu verstehen, was sie dort erlebt, habe ich gleichzeitig bei Pessoa herum geblättert. nun höre ich sie, wenn ich bei Pessoa lese. als sei es ihr buch, mit ihren sprüchen und beobachtungen. als sei sie für eine zeit in Portugal geblieben. jedenfalls stelle ich mir das probeweise vor. sie hat da einiges erlebt und es hat ihr spass gemacht, zu empfinden wie es ist, wieder einmal alleine zu reisen. dass man das noch kann, hat sie gesagt.

aber es ist noch was anderes, alleine zu reisen, wenn jemand tot ist, der sonst zu hause wäre oder mitreisen würde, der zum beispiel am strand tanzt und glücklich dreinschaut wie damals in südafrika. ich gestehe, ich schaue mir das foto, auf dem sie tanzt, gerne an. beim betrachten von fotos wird der tod etwas unwirklich. aber man weiss natürlich, dass die gestalt aufgelöst ist. andererseits bleibt sie, wenn auch nicht mehr so fest umrissen, sogar grösser, flächiger, bewegter. im gefühl.

als Baron von Teive schreibt Pessoa in „Die Erziehung zum Stoiker: „Ich schreibe meine Tragödie mir selbst zu. Ich leide unter ihr, doch von Angesicht zu Angesicht, ohne Metaphysik und ohne Soziologie. Ich bekenne mich als vom Leben besiegt, aber nicht vom Leben geschlagen.“

(Werkausgabe S. 53 Baron von Teive, Die Erziehung zum Stoiker.)

krach

morgens früh um sieben beginnt der tag der krachmacher, der motor gehört zu einem von hier aus unsichtbaren mäh- und stutzgerät der gemeindeverwaltung in der nähe der parkanlage. sonst ist es friedlich, eine amsel singt in der birke, eine taube gurrt, eine elster keckert, zwei blaumeisen tollen herum, im hintergrund rattert und kanttert es, dazu in den intervallen qietschende drehgeräusche vom bau kran. café im garten. man gewöhnt sich an alles, denkt man, man gewöhnt sich an garnichts, die antwort.

selbstverständlich darf der krach um sieben losgehn, alles legal und ordnungsgemäss, wo kämen wir sonst hin, aber eben krach, man ist wider willen wach und grantig, besonders weil man wegen irgendwelcher insekten nicht schlafen konnte, es juckte. man lag da und es juckte. man war müde, aber es juckte, die salbe half wenig bis gar nicht. man lag wach und wartete. morgens wusste man endlich, worauf man gewartet hatte, auf das morgengeknatter um sieben. legal, alles legal. so kommt man wider willen in die gänge.

da man sonst kein fachmann ist und also gebeten ist, fachleute zu zitieren, ist man auf einige aussenbereiche verwiesen, poesie, lektüren , zeitunglesen, impressionen, gefühle und eben krach, morgenkrach, man wird nach kuzer zeit spezialist für morgenkrach, dieses an- und abschwellende geknatter an wegrändern, legales gerassel, gerappel und ordnungsgemäss, das muss betont werden. krach macht wütend, krach bringt auf, erhitzt und man kann nicht sitzen bleiben, der café wird lau, tun ist angesagt, krachmachendes tun, blechcontainer herumwirbeln, rasenmähen, auto fahren, einfach geknatter, man kriegt, sobald der ärger verflogen ist, lust auf eigenes geknatter, selbst produziertes, COzwei produktion auf der grossen zufahrtsstrasse zur stadt, dazu ein reiner wutfurz, wenn es ans stocken kommt, man erspart sich ein paar unanständige gesten und verbale ausfälle.

ist das ein ordnungsgemässer tagesbeginn, aggressionsstau im morgenverkehr, die radiomusik dudelt, die bremsen funktionieren, es staut, danach warten, immerzu warten, man schafft es höflich und zuvorkommend zu sein, reissverschlusstaktik. der ärger legt sich, verfliegt.

früher, sagt der kommentator, habe man sich gefragt, warum die leute nicht zur wahl gehen, heute müsse man fragen, warum sie gehen sollten. aber der präsidentschaftskandidat fühlt sich legitimiert. die wahlen, sagt der kommentator, sind undurchlässig für die anliegen sehr vieler bürger geworden. in der zentrale zelebrieren sie rituale.

premier Bettel ist zuhause, er ist nicht schwerkrank, aber positiv, man nimmt an, es geht ihm gut? im film wirkte er etwas aufgeregt. er hat niemand angesteckt.

da man kein fachmann ist, kommentiert man nicht.

von weither kommt die frage, wie es einem geht. das geschieht jedes mal, wenn man auf das foto einer frau schaut, die man zum letzten mal im dezember 17 gesehen hat. die frage hat tradition, es war das morgenbriefing: wie geht es dir? ich höre im radio, dass die stimmung auf die mimik wirkt und umgekehrt. die frage erscheint mir heute morgen sehr komplex, das vor der nase liegende, das kurzfristige, die lange sicht. das vermischt sich, da ein geburtstag ansteht, wird das längerfristige relevanter. man rechnet nicht unbedingt damit, man ist vorsichtig umsichtig, man hält sich mit plänen zurück, es gibt genug durchkreuzende umstände, das leben zum beispiel.

auch flugzeuge machen im übrigen einen höllenkrach, aber sie verschwinden meist schnell, wogegen die spritbetriebenen rupfgeräte krachmässig länger andauern.

krach überhaupt, man sehnt sich nach stille. aber die kann man sich abschminken, oben an der zufahrtsstrasse zur stadt sind fast hundert meter abrisshäuser eingezäunt, unten fuchtelt der kran, rechts knattert es. ordnungsgemäss alles, wachstumsmässig auch völlig in ordnung, wohnkästen, menschenhaltung, die rente bitte sehr und die mauer.

man müsste aufs land ziehen. die stadt wird aufdringlich.

was ist mit der antwort? ausweichend, seitlich, man übt, wie behält man im krach die fassung, wird still, sagt gar nichts, weil man auf krach keinen krach häufen will.

amen.

über patriotische gefühle

man kann vieles erzâhlen, zum beispiel über die diskrete kleinformatige fahne in einem wohnzimmerfenster vor der zugezogenen gardine, oh, ich insinuiere gar nichts, auch nichts über die reduzierten feierlichkeiten, die leute in den strassen der stadt spätabends, die leicht erkältet wirkenden prominenten, aber immerhin hat die regierung des landes sich aufgerafft mit einigen andern regierungen gegen reaktionäre gesetze in einem EU land zu protestieren, während die EU noch immer herum eiert, laviert wollte ich sagen. dass so etwas nicht geht wie das infame ungarische gesetz, das müsste im EU europa doch glasklar sein.

tatsächlich habe ich mir ein fussballspiel wenigstens teilweise angeschaut, tschechien gegen england, auf lange strecken ein herumgestocher und getrete neben einem brillanten torschuss. dazu habe ich frisuren begutachtet und physiognomien in gedeckten anzügen mit dunklen kravatten. nebenher liefen im rund unablässig sich abwechselnde reklamen, so dass klar war, es ist nicht nur spiel, sondern das spiel ist ein geschäft.

was ist nicht geschäft oder nützlich oder was bringt es, wir sind in unserer denke so sehr darin befangen, dass eine andere sichtweise uns „volapück“ vorkommt, zum beispiel dass irgendein ritual einfach nur sagt, so ist es oder wie ein zenmönch auf die frage, was bringt die meditation, antwortete: nichts. so dass man sich angeleitet fühlt, dinge zu machen, die nichts bringen. aber inzwischen bringt ja alles etwas, zum beispiel „waldbaden“. dass man sich völlig sinnlos im wald, an einem hang herum treibt, dass man auf dem rücken liegt und die weite bestaunt, dass man sprachlos in einem blumengarten sitzt und schaut, dass man still da sitzt mit geschlossenen augen, dass man schreibt, wie gerade jetzt, ohne sagen zu können, wozu das gut ist, ob es tatsächlich nützlich ist oder völlig „überflüssig. und wenn man gerade das liebt, das überflüssige, nutzlose, was sich nicht monetarisieren, verwerten, ausschlachten lässt.

aber ist nicht längst alles gerastert, auf verwertbarkeit ausgeleuchtet, so dass sogar das nichtstun seinen platz in der regenerierung der arbeitskraft hat und ebenfalls das sonstige nutzlose, wenn es das noch gibt.

es muss doch was bringen! ja was denn? irgendwas. mehr von diesem oder jenem. kann man noch anders denken? wozu ist das gut: immer gleich die werkzeugkiste.

eine geschichte ohne inhalt? und das klima? die weltrettung? gestern las ich bei jemand, künstlerisch sei das thema untergang reizvoll.

um zu. damit. wegen.

wenn ich vor den müllbehältern mit diversen etiketten stehe, plastik, papier, glas und noch mehr in die einzelheiten gehend, fester plastik, verpackungsplastik, waschmittelbehälterplastik, überkommt mich ein bodenloses ohnmachtsgefühl, ausgerechnet dort, wo es sinnvoll zugehen soll, wo man annimmt, man tut was, redet nicht bloss, wird aktiv. dann denke ich jedes mal: die sache ist verloren. nicht nur, weil der strom an plastik nicht nachlässt, immer wieder stehe ich vor diesen behältern, nein, sagt der mann im overall, nein, das kommt nicht hier hinein, und es hört gar nicht auf, sondern, weil mir das ausmass bewusst wird, die produktion plötzlich vor augen steht, die interessen, die gewohnheiten, die bequemlichkeiten, die gewinne. dann ist das bewusstsein, etwas sinnvolles zu tun, wie weggewischt. und das gute gewissen stellt sich erst garnicht ein.

aber der keller ist wenigstens leer, die kartonagen abgeräumt, es herrscht wieder ordnung. habe ich etwa am nationalfeiertag meinen keller aufgeräumt, den wagen vollbeladen, um gleich am nächsten tag loszufahren?

wo ich sowas wie patriotische gefühle entwickle, völlig kritiklos dazu noch, das geschieht in meiner lieblingslandschaft (sofern sie noch einigermassen intakt ist! geht das überhaupt?) und im wald, da ist es ein ausgesprochener baumpatriotismus, da ist es freude über den verlauf der hügel, die farbpalette, die anordnung der flächen, die ausblicke, das gefühl einer intimen vertrautheit auf gegenseitigkeit, ein liebesverhältnis ohne zweifel. wieso das patriotismus ist? tut mir leid, es ist der einzige kompakte, unentzweite, unbezweifelte, den ich aufbringen kann, ansonsten gibt es unterschiedliche beleuchtungen, widersprüche, gegensätze, die einen ganzen, fraglosen patriotismus verunmöglichen. man lebt in diesem land halt im zwiespalt, man sagt sich, nicht ich provoziere die kritik, die mich fast wie überkommt. und die gemischten gefühle erst, die sich erst im wald entmischen oder an meinem lieblingshügel und abhang und pfad.

aber ich verrate nicht, wo mir so ausgesprochen zuhause zumute ist. denn so möchte ich nicht erwischt werden, so ganz einverstanden. so ganz bejahend. freudig, lächelnd, diskret überschwänglich und entschlossen.

über Paris kein wort

über Paris kein wort, denn das kann nur schiefgehn.

vielleicht doch dies, der provinzmensch erfährt eine erweiterung seines horizonts, was, als metaphorisches sprechen paradox klingt, denn man schwimmt in einem häusermeer. man muss, da aus einem nest (vergleichweise) kommend, aufpassen, dass man nicht ins gaffen gerät. die taxifahrer sind zuvorkommend, putin hat neben dem neuen russischen kulturzentrum eine orthodoxe kirche mit drei goldenen kuppeln errichten lassen, der eiffelturm nebenan. etwas übertrieben, eventuell geschmacklos. wenn man viele leute antreffen will, geht man ins Marais. leider war das restaurant auf dem dach des Institut du Monde Arabe geschlossen, bei Finkelsztain aber gab es delikatessen und in der rue de sicile trank man korsisches bier.

berluti schaufenster

abends stellt man fest, flanieren macht müde, flanieren, dass wir uns recht verstehn, ist zielloses herumschlendern und schauen, leute auf terrassen beobachten, café trinken, weiter flanieren, bei berluti am Elysée kostet ein paar sneakers achthundertfünfzig euros, die lederjacken, grün und rot und glänzend tragen keinen preistag, einer der herren am eingang begleitet und erklärt wortreich die waren. Er möchte verkaufen, das ist klar, und man ahnt, wenn man etwas anprobiert, ist man verloren, er wird sagen, sie sehen in der jacke gut aus, nein, er wird sagen, sie steht ihnen exzellent, wie für sie gemacht. da man nicht so farbig aussehen aussehen will, ganz abgesehen davon. dass die preise nicht in frage kommen, entfernt man sich höflich und dankt. da die ausstellung gelungen ist, die ware postpostmoderne ikone und der ton samtig, fühlt man sich erleichtert beschwingt.

um die residenz stehen polizisten in schwarz mit maschinenpistolen, aber keine clochards. rue de rivoli schmeckt der café ordentlich, in den jardins des tuileries herrscht jogging verkehr, hingegen ist die pyramide umlagert. man geht weiter.

spontanes reisen und museumsbesuche schliessen sich neuerdings aus, die bourse de commerce, in der man die schmelzende wachsskulptur besehen wollte, ist im juni ausgebucht. ebenso das orsay. aber zum trost ist die stadt selber museal, darf man das sagen?

abseits, also etwa im 17e am bd Pereire, blühen die rosen, im parc monceau déjeuner sur l’herbe, verfielfältigt und angezogen, natürlich. hier merkt man, Paris ist eine ansammlung von dörfern, ausser an den repräsentativen stellen. man flaniert und entdeckt, auch das, was man nicht gesucht hat.

manchmal denkt man, hier möchte man leben, manchmal denkt man, hier möchte man auf keinen fall leben.

zuhause stellt man fest, es hat sich wenig getan, ausser dem üblichen gekabbel. hier ist es noch immer klein und provinziell, aber man fühlt sich nicht mehr so beengt. man weiss nun, man kann jederzeit wieder weg, als hätte man das vergessen.

In Paris liefen fast alle mit maske herum, abends juckt das ganze gesicht, die lippen sind trocken, deshalb sucht man öfter terrassen auf, trinkt mehr café als nötig, so dass man denkt, man wird nicht schlafen können, aber nachts in Paris wach liegen und an die stadt vom vortag denken, ist äusserst befriedigend. Das hotel liegt, wie gesagt abseits im 17e, es hat einen garten mit bäumen und sträuchern, morgens sitzt man dort und zittert leicht, weil die Sonne noch nicht herein scheint, und vögel zwitschern. es ist ziemlich still. von hier aus braucht man anderthalb gehstunden bis zur place des vosges etwa, aber flanieren kostet viel mehr zeit, man wird immer durch irgendeine wahrnehmung aufgehalten, betritt läden und schaut, begutachtet fassaden und strassenzüge. und geht absichtlich in die irre, weil an der nächsten ecke der ausblick neues verspricht.

da man jemanden kennt, der hier wohnt, fühlt man sich nicht so durch und durch touristisch.

man macht sich keine illusionen, wie es in dem land aussieht, von dem paris das zentrum ist, sozial und wirtschaftlich, meine ich, die politischen nachrichten sind beunruhigend.

viele fassaden sind frisch geputzt, das fällt auf.

bd pereire

zuhause kommen erinnerungen hoch an vergangene parisbesuche.

mit M.

M. kannte sich in Paris aus. ohne sie, so dachte man, wird man in Paris nicht so gut zurecht kommen, aber das hat nicht gestimmt. es ist ziemlich einfach herum zu gehen. man lässt sich überraschen, wo die neugier einen hintreibt oder der hunger, zu Finkelsztain zum beispiel, aber eben nicht zum Institut du Monde Arabe, wo man vielleicht Jack Lang begegnet wäre, der einem mit seinem gefolge entgegen kommt. ich erwähne ihn, weil er jüngst bei einer dokumentation über Mitterand, den Bauherrn, dermassen geliftet aussah. damals mit M. auf der dachterrasse hat er noch nicht so sonderbar ausgesehen. aber damals war die dachterrasse geöffnet und man freute sich auf die tajine, weshalb man Jack Lang nicht so beachtet hat. Man kam damals von einer ausstellung über das schicksal der jüdischen gemeinschaften im osten europas.

In paris fühlt man sich über dem gehen wie jemand, den man vorbei gehen sieht, so leicht fühlt man sich, so unbeschwert von sich selber. fast möchte man lachen, es gibt immer wieder den anfang eines lachens. dabei passiert gar nichts besonderes, man ist ganz zufrieden mit der identität des gehenden, das genügt einem völlig. das ganze brimborium, das man sonst mit sich herumschleppt, ist gar nicht anwesend. das macht so einen Parisaufenthalt sehr angenehm.

mit B. war sowieso alles neu. wie man so eine Parisreise anpackt, im ganzen, meine ich, wo man hingeht, was einen anzieht. wie man auf die dinge schaut, entscheidet sich auch an der frage der begleitung, ob die funktioniert, ob man zusammen zurecht kommt, das stellt sich schnell in einer nebenstrasse zum beispiel heraus. ohne dass erinnerungen hochkommen, wie es einmal war. das kommt später und man vergleicht seltsamerweise nicht.

im übrigen muss ich sagen, die kombination stimmte, was mir an begeisterungsfähigkeit fehlt und bei B. überreichlich vorhanden ist, so dass man mit ihr anders sehen lernt, mache ich wett durch flanierende trägheit, sich treiben lassen auf grosstädtischem pflaster, ein reiner genuss.

fiebriges

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I

man sitzt etwas ratlos da und fragt, was ist in den letzten vierzehn tagen geschehen, man war da, aber woanders, jedenfalls nicht hier, nicht in dieser realität. dort waren die wälder anders, die wege sowieso, die berge, ein schleier von kaumgewusstwie über allem, man hat keine besonders konsistente substanz, man traut sich nicht einmal zu, ganz fest zu sein, man ist sehr wackelig, was die anwesenheit betrifft, man bewegt sich in landschaften, über die man keine festen angaben machen kann, es ist vor allem gefühlt hügeliges, es schwankt. die nächte sind wie andere tage, man ist ungefähr, jedenfalls nicht sehr deutlich. hat man fieber, schmeckt man etwas eisenartiges, riecht man noch, man will gar nicht erwachen, man kneift sich, aber das hilft auch nichts, man sagt sich, wenn ich erwache, dann finde ich wörter für den zustand, ausserhalb ist er, wie ausserhalb, farblos, geräuschlos, etwas wiederholt sich, man kriegt es nicht zu fassen, es gibt vor eine form zu haben, man sieht sogar andeutungen davon, aber wenn man sagen soll, wie sie waren, die formen, die einen bedrängt haben, dann weiss man es nicht.

manchmal erinnert man sich, wie es begonnen hat. da waren die symptome schon da, zerschlagenheit, zunehmende müdigkeit, am besten hinlegen, nicht essen, nicht viel, da hiess es, man sei positiv, sie sind positiv getestet worden, dann rief jemand an und stellte fragen, man gab noch leute an, mit denen man kurz zuvor zu tun hatte, es waren sehr wenige, man hat das noch als spiel empfunden anfangs, aber diesen anfang hat man schnell vegessen, man schleppte sich herum, war nicht ganz da, immer mit einem fuss woanders. in einer nebelhaften welt, in die der körper seltsame bilder hinein warf, die man nicht fassen kann, alles entzog sich ins unwirkliche, man dämmerte unter nebelhaften figuren und formen, alles löste sich schnell auf, entstand neu, obsessiv, quälend. manchmal erwachte man nass geschwitzt und brachte es gerade noch fertig sich umzuziehen. an manchen tagen stand man gar nicht auf, ass nichts, trank tee, schlürfte wasser, gelegentlich musste man husten. nichts dauerte lange, die zustände wechselten sich fiebrig ab, rasten, wurden sehr langsam. an einem tag war einem kotzübel, essen war irreal, man dachte gar nichts dazu.

manchmal fühlte man sich sehr allein. durch das fenster sah man die sonne und der strahlende forsythia des nachbargartens war ein trost und laute stimmen aus den gärten versicherten einem, da sind noch andere.

nichts ergab einen sinn, alles fühlte sich verkehrt an, nicht richtig, das dachte man, was stimmt hier nicht. man beklagte sich nicht, man unterzog sich dem, nolensvolens, es hörte nicht auf. ein paarmal setzte man sich in die sonne vor den leuchtend gelben busch und neben die lauten stimmen. der körper fühlte sich fremd an, ja, man schreckte davor zurück, die stoppeln im gesicht waren nur widerlich, die haut klebte eklig. als kenne man sich nicht. alles roch etwas süsslich, leicht metallen. man lag da und es gab keinen impuls etwas zu verändern, man wartete darauf, dass man vielleicht doch aufstehen würde, aber es dauerte sehr lange, bevor das geschah. plötzlich überraschend tat es sich, man war fast nicht drauf gefasst. das aufstehen und herumgehen war genauso sonderbar wie das liegenbleiben.

flüchtige lektüren, ein film von Tavernier mit Philippe Noiret und Sabine Azéma in den farben verwüsteter träume, „la vie et rien d’autre“. verdämmerte tage, wo war man, was dachte man, man wartete nicht einmal? man war en suspens…

II

es ist ein abtauchen. wortlos. jemand dreht den rücken und geht. wie hinter einer wand. un écran invisible mit einer art von fast greifbarer nichtanwesenheit. überhaupt nicht ganz anwesend, selbst beim schauen meilenweit entfernt, ein gefühl von distanz zu allem. kein wunsch genau hinzuschauen, flüchtiges sehen, meist inwärts gekehrt, selbst im augenblick deutlicherer präsenz.

leicht gequältes lächeln, sogar manchmal lachen über einen unmöglichen zustand. geschmacksverzerrungen, schiefer geruchssinn, überlagerungen von fremden. zerflatterte aufmerksamkeit, am liebsten reglos wo sitzen, gedankenfetzen driften vorbei, nichts sehr bedeutendes.

wenn lesen, dann ganz abtauchen in selbst oberflächlichstes, nachrichtenmässiges. ein gewisser dégôut vor der aktualität. lesen, aber kaum ernstnehmen. es perlt ab. es ist lächerlich. wortwolken zerstäubt. was für selbstinszenierungen. die leute: manövriermasse. der zustand draussen zunehmend grotesk, unhaltbar, aber er hält. noch immer die zahlen.

meist in sich gekehrt. entrückt. weit weg, abgereist und nun irgendwo, wolkenstrand, verwischtes baumgestreife, sonnenflecken, geahnte kälte, erfrorene frühlingsblumen, leichte trauer. schwäche in jeder geste, keine beschwerden beim treppensteigen, nur eine allgemeine müdigkeit. am liebsten in einem buch abtauchen, sich an wortlandschaften haltend, worte streichelnd. keine realität bitte, kein wunsch die tür aufzumachen und den park aufzuchen? kein schritt vor die tür, das haus als schützende höhle, halte mir die dinge vom leib, lass mich in ruhe, sage nichts, schweigen wir am besten.

III

abrücken, aber nicht freiwillig, alles ist weiter weg, man möchte hin, aber es gibt diese unsichtbare wand. dann ist man müde, will auch gar nichts wissen. trotzig. macht euren scheisskram, aber lasst mich raus. ich bin raus. erbittert lesen, in bruchstücken, was ist. aber was ist und was ist nur gerede, wortkram, liest man, sagt Goethe. man hält sich an handfestes. kein besonderer grund aufzustehen. auch dort: lasst mich in ruhe. unfreiwillig eingesponnen in einen cocon. man sieht übergenau die eigene unzulänglichkeit, die ichschwäche an zentraler stelle. als hätte man flügel, versucht man sich zu erheben und scheitert, etwas kläglich. warum nur ist man soweit entfernt, hat sich entfernt, wurde weggerückt. man ist ganz inwendig beschäftigt sich wieder aufzurichten. eine genesung, die gar kein ende nimmt. man ist nicht einmal nur körperlich angeschlagen, man ermüdet auch geistig sehr schnell. aber der wunsch oder die sehnsucht sich über die schwäche wenigstens im geist zu erheben. aber in welchen räumen/sphären befindet man sich nun. neblig trübe hochebene. schnelle verwandlungen, nirgendwo fest sein, wolkiges, es zieht sehr schnell…weg. manchmal ein ganz unwahrscheinliches glücksgefühl. erinnerungen aber auch an vernichtungsängste, verschwinden in ritzen und fallen. oder quälende kreisläufe nachts, halb körperlich halb bilder, eine wiederholungsmühle, crushed. zermahlen so das aufwachen. das naheliegende, das bett, der stuhl, ders essel, die wände halb durchsichtig, als ob, kein beschreibbares. als fliege man in alle richtungen davon.

Intermezzi von nüchterner wirklichkeit. man isst wieder, bereitet essen, geschmack und geruch noch immer verzerrt, der café ist ein bitteres gesöff, man trinkt ihn nur schlückchenweise wie zur erinnerung an ein rundes erlebnis auf zunge und gaumen. unangenehme synthetische geruchsanwandlungen, desinfektionsmittel den halben tag. die symptome waren nach zehn, zwölf tagen fast ganz weg, geblieben ist das gefühl einer entfernung von allem plus eine unbekannte schwäche, ein unwillen zu längerer bewegung: ich sitze, ich verschwinde in einer lektüre, am liebsten weit weg von dem aktuellen gerede, weit erhoben, eine landschaft, in der man schwebt, wörter tanzen, man geht dem einzelnen nach, hört klänge, farbnuancen von begriffen, hoffnung bestimmend. bleibt mir vom leibe mit euren pandemieobsessionen. es geht mir ganz am a…vorbei. jetzt weiss man, was angeödet heisst. ich möchte in keiner statistik als ziffer vorkommen. wo haben sie sich angesteckt. man hat kein gefühl von angestecktsein, man sieht keinen verdächtigen um die ecke huschen, den covid-anstecker, man denkt gar nicht in solchen kategorien, man will still sein, man regsitriert symptome, man horcht in sich hinein, staunt, ist unangenehm berührt, zuerst fieberte man, dann wollte man nichts mehr essen, essen war nun sehr weit weg, man lag da und drehte allem den rücken.

das sitzt noch jetzt in den gliedern.

was ist das für ein gefühl von unwirklichkeit? gottseidank ist man nun seit zwei tagen eingehüllt in regen, nachts liegt man wach und ist ganz ohr. man muss nichts tun. gelegentlich schaltet man auf praxisbetrieb, erledigt dies und das, es ist genau so fremd und entfernt wie alles andere, die strasse ist kampfgebiet, man wendet sich ab, wenn ein auto zu laut wird. man träumt, überall schiessen bäume aus dem boden und wachsen sehr schnell, die strasse ein wald, autos überwuchert von seltsamen blühenden gewächsen , befriedigt, befriedet, revanche auf asphaltgrau und blech.

keine gewissen erinnerungen: wie hat es angefangen, vage grippenartiges, zerschlagen, fiebrig, eher bilder, aber verwischt, ahnungen von formen, wirbel, wie energien, die aus einem heraustreten und man bleibt erschöpft zurück. anfälle eines schneidenden alleinseins, scharf, ja dies schon, sehr kantig schmerzlich ganz auf sich zurückgeworfen, mit sich konfrontiert, allein, keine geborgenheit in fiebrigen anfällen, kann man sein leben vertreten, fast so, wie ein inneres tribunal. später ist man wie verflogen, aufgelöst, .

langsam findet man jemand wieder, sammlung. da man doch immer wieder gelesen hat, taucht man auf in einem ganz und gar verrückten, was stimmt hier alles nicht. womit sind alle beschäftigt.

man denkt plötzlich, nach einem lese dégôut (über das neueste), ist ein neospiessertum imgange und anderswo verflüchtigung von welt und wirklichkeit in abstraktestem? aber kein halt. der blick fängt sich wieder im anblick von frühlingsblumen, gelb vor allem, blau auch und rot tulpiges, erstes zartes grün, segelflug von raben, gezirpe von rotkehlchen, schrilles von elstern und behäbig tauben im gras, wackelköpfig, das beruhigt, die welt ist noch da. am griff der anschaung, nichts machbares, nur wieder anwesend im schauen, im hören, aufatmen frische luft, kühl regennass. uff.