
“beginne zu schreiben“, sagt das programm und ich tu’s, ganz gehorsam. nur bedeutendes?
dabei bin ich eher verwirrt oder zerstreut in alle himmelsgegenden sozusagen und meine metaphorischen ausfälle sind auffällig schief.
dabei ist der garten völlig in ordnung und die gärtnerin am werk, am nistkasten rege tätigkeit und am futterplatz ebenso, blaumeisen, gimpel, amseln und stare, einmal ein eichelhäher und elstern, natürlich elstern, frech und unverschämt wie sonst auch.
und die farben stimmen, das gelbliche frühlingsgrün, rosa und weiss und gelb und die drei birken windbewegt und fein ziseliert verwuselt die gemeinsame krone.
schnelle lektüren über die wirtschaft, ausblicke, worst case szenarien und prophezeiungen oder eher: hoffnungen (vernunft gestützte), das ende des neoliberalen und eine solidarischere zukunft?
eine schwarze katze streicht durch den garten.

man weiss nicht so recht, wie man sich fühlt. aber die frage, wer wird die rechnung begleichen, geht nicht aus dem kopf.
was für reserven hat man? welche kräfte schlummern noch, unentdeckt?
ich schaue dem garten zu, wie unter dem changierenden licht die farben sich mit verändern, wie die kirschbaumblüten blasser werden, die büsche grüner, das gelbgrün, das mich am frühling enzückt, und das sanfte wiegen der birkenästchen im wind. der dunkle waldrand steht still und darüber das licht, blassrosa.

was tut man den ganzen tag?
ich habe seit tagen keine musik gehört, begnüge mich mit den einfachen geräuschen, stimmen von fern, vogelzwitschern, das rascheln der blätter unter den füssen, ein rauschen weit weg, ein verlorenes auto, elsterkeckern. vom radio halte ich mich fern.
ich müsste wieder was lesen, das denke ich flüchtig, wenn ich an büchern vorbe igeh, aber das war es dann auch schon wieder. ich bekomme beim lesen angst, ich könnte was verpassen. nur was ich verpassen könnte, bleibt im dunkeln.
vielleicht liegt es daran, dass sie „vorher“ geschrieben wurden, meine bedenken, sie könnten den jetzigen zustand nicht erfassen, aber genau danach suche ich, nach ein paar sätzen, die adäquat schildern, was wir nun erleben.
denn, ganz unerklärlich, gibt es aufeinmal ein wir.
ich vermute, dass ich so angestrengt horche ( ertappe ich mich immer wieder dabei), weil die meisten gewohnten geräusche weg sind, und ihre abwesenheit erinnert jeden augenblick an die ausnahme, die nun normal wird und es doch nicht ist. und nie wird.
mir fallen die scifi geschichten von Doris Lessing ein. sie sind mir genauso wichtig, wenn nicht wichtiger, als die von Asimov. ihr leitfaden ist die ausnahme.
in meinem fensterausschnitt gegen achzehn uhr eine letzte strahlende beleuchtung , eine häuserfassade glänzt, die birken erstrahlen, das rauschen der fontäne im nahen park, moduliert vom wind, der garten verzaubert im abendlicht. je me rince les yeux.
es passiert sonst nichts, im haus ist es still, und nun: meine aufgeregtheit. als sei eine tiefere schicht freigelegt worden. mir wird klar, sie war schon die ganze zeit da, als eine nagende, lästige präsenz. eine unruhe unter allem, immer am rande. immer dabei.
und es liegt nicht daran, dass ich alleinsein nicht vertrage.
der beobachterposten ist in den tagen nicht sehr bequem. sich selber zuschaun, wie man doch etwas verstört herum sitzt und geht, wie man sich keinen rechten reim machen kann auf nichts, wie man die feinen veränderungen in den sozialen medien, die leichten stimmungsverschiebungen in radio und fernsehn etwas besorgt registriert, ein deutliches beben überall. aber man kann sich nicht heraus ziehn und die öffentlichen versicherungen und erklärungen haben nur eine sehr schwache beruhigende wirkung. man ist hellhöriger als vorher, lauscht auf zwischentöne, bemerkt selbst kleine wechsel in mimik und gestik, auch misstrauischer ist man, reicht die eigene urteilskraft aus für den fall, hält die vernunft. ist das, was wir tun, konsistent.
manchmal vergisst man sich ganz.
könnte ich was tun, sagt man sich, ausser nichts zu tun oder alles zu unterlassen, was ja auch schon was ist, dann wäre es einfacher. aber wäre es das.
bei einem kurzen spaziergang der gedanke urplötzlich: liegt es nicht nahe, dass die stimmung kippt und sich irgendwann gegen die alten richtet. dass man sagt oder denkt (zuerst und zuerst klammheimlich), dann gäbe es einen risiko- und kostenfaktor weniger (langfristig). so war doch das eingefahrene denken noch gestern, die kostenfrage als lebens leitlinie.
es gibt überlegungen zu pandemien, die sind nur kaltschnäuzig und zynisch.

ich traue dem frieden nicht, das ist es. (ich meine das global und integral, bis zum beweis des gegenteils). natürlich: es gibt optimistischere stunden, aber dann sage ich mir auch, ungeschoren werden wir hier nicht hinaus kommen.
während die beleuchtung draussen ins eindeutige rosa zielt und die birken sich orange färben.
vor zwei tagen bin ich achtfacher grossvater geworden, kind und eltern sind wohlauf. mein eindruck davon ist rein virtuell, wie ich auch meine enkelkinder überhaupt vermisse. ich überlege, wie wir eine unsinns videokonferenz veranstalten könnten. ich lasse mir ungefährlichen (andere nicht gefährdenden) unsinn nicht ausreden.
man verlegt sich auf schwarzen humor. das ist die art, die noch funktioniert, auch wenn es schlimmer kommt.
ich wünsche mir eine zeit, in der es möglich ist, in frieden alt zu werden, vielleicht, als luxuriöse zugabe, eine zeit, in der altsein nicht bloss nur noch ein kostenfaktor ist.
denn: entschlossenes träumen ist doch wohl noch erlaubt.
über dem waldstreifen steht ein rosa licht, der garten hüllt sich in schweigen.
