ich halte die frage offen

was ich nicht brauche ist mitleid oder bedauern oder auch noch die sorgenvollen bedenklichen blicke. ich sage nicht, dass gut gemeinte ratschläge am schlimmsten sind. am besten man bedauert mich gar nicht. wozu auch.

gerade mache ich eine neue erfahrung. die man nicht von sich aus aufsuchen würde. aber das macht sie nicht weniger kostbar. kostbar meint nicht angenehm. angenehm ist eine kategorie der wellness zivilisation, erfahrungen wie meine werden mit gefühlsdämpfern behandelt. der neue homo festivus festivus mag unangenehme gefühle nicht. double plus ungood.

es gibt trauer, verlust, abwesenheit, tod, leere. es sind, wie gesagt, keine angenehmen gefühlsorte, die man freiwillig aufsucht. niemand hat mich gefragt, ob ich dorthin will. es gibt keine beschwerdestelle für unerwünschte erfahrungen.

ich fühle mich nicht als opfer ungerechter umstände. inzwischen hat sich doch wohl herum sprechen müssen, dass das fest ein ende hat, das nennt sich tod.

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warum ich das erzähle? mir hat eine liebe bekannte angeraten, mich therapieren zu lassen. wenigstens aber mich auf die brightside zu besinnen, meine enkelkinder zum beispiel, das leben gehe weiter, hat sie gemeint.

meine enkelkinder vermissen ihre oma, ich vermisse meine frau. was ist daran zu therapieren? sie fehlt an allen ecken und enden, ihr rat, ihr lachen, ihre resolute art, überhaupt ihre ganze anwesenheit. gibt es dagegen medikamente?

Kostbar habe ich die erfahrung genannt. der tod macht die dinge kostbar. wie kostbar sie waren, wird erst jetzt deutlich. wie kostbar sie sind ebenfalls.

der schmerz zerschlägt dir dein altes leben. es scheint mir sinnlos die scherben zusammen zu kitten.

was bin ich allein, ohne sie. ich habe keine ahnung. die erfahrung wird es zeigen, so oder so, dessen bin ich gewiss.

oft genug habe ich erlebt, dass der tod nichts geändert hat. das nichts hat sich aufgetan für einen moment, alles schien jetzt möglich, eine veränderung, eine besinnung, wenigstens eine frage. zum beispiel, ob alles wirklich so gut war, wie man immer vorgegeben hat.

schnell ging man zur tagesordnung über.

das aber habe ich gar nicht vor.

vieles würde sich ändern müssen, haben wir beide gesagt, so wie bisher würden wir nicht weiter leben können. uns war klar, Marie z.s krankheit hatte uns in eine ganz andere richtung gedreht. wir hatten dinge vernachlässigt, andere ganz liegen lassen, es gab noch vorstellungen, die ins dasein drängten. wir spürten es beide und waren gespannt und voller neugierde. damals glaubten wir noch an heilung.

nach ihrem tod gilt das noch immer, nun allerdings für mich allein. ich halte die frage offen, was bin ich allein.

 

 

 

 

 

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