gerade hat mich im gefolge der irrungen und wirrungen meiner lektüren (zum beispiel Sylvain Tesson, L’énergie vagabonde) die frage beschäftigt, wie salaud, crapuleux die menschen sein können, und die antwort lautet, natürlich und nicht verwunderlich, sehr, sehr sehr.
obwohl weitere beweise dafür keineswegs nötig sind, fand wieder jemand vor ein paar tagen das gegenteil und inszenierte deswegen den qualvollen tod einer mir gut bekannten, ja, befreundeten Katze.
vergiftet, sagte die tierärztin, die das arme kleine zitternde bündel einschläferte.
Katzie, so wurde das tierchen gerufen (es liess sich nach katzenart natürlich nicht rufen und erschien nach gutdünken, hauptsächlich zur futterzeit) hat niemand je etwas zuleide getan, nicht einmal das, was katzen so zu tun pflegen, weil sie eben katzen sind.
im gegensatz zu Blimmi, der viel jüngeren, machte sie keine jagd auf vögel und deponierte auch keine ziemlich toten mäuse an der haustür, um sich erkenntlich zu zeigen (? – eine kühne hypothese). sie war auch nicht so aufdringlich wie die traumatisierte Blimmi, die unaufhörlich gestreichelt werden will und dazu ausgiebig sabbert. nein, Katzie war diskret (abgesehen von den sehr gelegentlichen häufchen, die sie auf teppichen hinterliess, was ich als protestaktion interpretierte, obwohl mir auch der gedanke nicht fremd ist, dass ein teppich eine luxuriösere bedürfnisanstalt sein kann als ein triviales katzenklo aus plastik mit deckel, immerhin, im Louvre hoben die anscheinend den teppich auf, um danach die geschäfte diskret festzutreten).
Katzie war mir zugetan, nicht nur, wenn es futter gab.
der feige katzenmörder, der Katzie ein qualvolles sterben beschert hat, ist mir unbekannt. irgendjemand nettes aus der nachbarschaft, nehme ich an.
zuerst, das gebe ich ohne weiteres zu, habe ich mir einen raffinierten vergeltungsschlag nach klassischer chinesischer vorlage (孫子, Sūnzi), Die Kunst des Krieges (孫子兵法) vorgestellt. ich habe jedoch schnell von einem rachefeldzug abstand genommen (gegen wen auch?), weil die wut nur die trauer verdeckte.
trauer auch wegen uns, und überhaupt.
(ich verdanke dem katzenmörder nebenbei die erkenntnis, zu welchen rachevorstellungen (inklusive mittelalterlicher daumenschraube) ich fähig bin. ich war etwas erstaunt, andererseits, ich gehöre der gleichen spezies an und wozu die imstande ist, ist bekannt.)
Katzies tod hat mich auch deshalb erschüttert, weil meine enkelinnen nicht verstehen können, dass man katzen vergiften kann. einfach so.
wer sowas tut und ein liebes katzenvieh wie Katzie qualvoll umbringt, muss doch eine sehr arme sau sein. eine sehr sehr arme.
man kann selbstverständlich grau scheusslich finden, man kann daran herum mäkeln, aber hier, in unserm fall, kommt letztes rostbraun und gelb erst richtig zum vorschein und die feinheit von birkenkronen sowieso. die sind meditationsgegenstand.
seit tagen finden ausweichmanöver statt.
vorbemerkung: nichts gegen ordentliche information. genug jedenfalls, um zu wissen, gründlich, was läuft. zuviel hingegen schlägt aufs gemüt? ja, inzwischen, geht das zuviel auf den geist. auch gründlich.
noch weiter: wiederholungen überhaupt, ohne unterscheidung, mit ausnahme von persönlichen ritualen, gewohnheiten (leicht argwöhnisch beäugt, no complacency please). erste allergische reaktionen.
erschwerend: alle wiederholungen oder variationen auf dasselbe: anzeigen, sprüche, verkündungen, wörter: bei bestimmten wörtern findet ein zusammenzucken statt, wenigstens ein anheben der augenbrauen, ein wegsehen, das auch als weghören gemeint ist, ein virtueller ohrenverschluss, augen zu.
man beobachtet seit tagen das anziehen der dramatik, die steigerung, wenn nicht, dann undsoweiter. das drehbuch kommt einem bekannt vor. weswegen der enthusiasmus sich in grenzen hält.
sehr engen.
(muss man das sagen?).
auf der rechten wird eine sequestrierung der alten gefordert, das wörtchen freiheit flattert hinterher, entgeistert.
entgeisterung ist das zeichen der stunde.
„angst essen seele auf.“
wo und wann war das schon mal: ars moriendi?
mit oder an?
vor den gegebenheiten des lebens will ich nicht weglaufen, und doch verstärkt sich der wunsch abzutauchen jeden tag, nicht vor dem leid, vor dem gerede.
allergische reaktionen: sobald der teil crise sanitaire auftauchte, online, offline, tv mässig kam zuerst ein seufzen, resigniert, mit der zeit die amplifikation und vor einer woche unüberhörbares stöhnen, seit ein paar tagen nun protestschreie, kurz und spitz, ansteigend, wegklicken, zusammen knüllen und weg damit, in den runden ordner, umschalten zack und zack.
exemplarischer ablauf: zur arte doku nämlich, das leben der insekten, angenehme langeweile versprechend, dann aber spannend, käfersex (funkelnd), das paarungsverhalten der gottesanbeterin (bdsm), anschliessend das dramatische schicksal der drohnen (erschütternd) oder elefantensex (gigantisch), das liebesleben von eichHörnchen, mehlwürmern (verwirrend) und kakadus (angekündigt).
zwischendurch: seitengespräch bei abstellen des tons ( unterdessen, unhörbar: anhaltendes hirschröhren.
dort!“ ) über männerhass und dessen legitimität, wegen der anstehenden lektüre von „Moi, les hommes, je les déteste“, Pauline Harmange und der am schicksal von drohnen und gottesanbetern auftauchenden erinnerung an Valérie Solanas (in einem essay von Houellebecq: „À quoi servent les hommes“).
zugegeben: das sind starke ablenkungen, in denen man fast ungestört abtauchen kann.
ungestört verstört.
rechtzeitig: beim doch noch umschalten, um die sonstigen (!) nachrichten nicht zu verpassen, gerät man , ob man es will oder nicht, in die letzten sätze der crise sanitaire heute, morgen und übermorgen lockdown oder nicht.
entsetztes umschalten, wegklicken, zackzack, mehrfach nötig bis zum haarsträubend schlechten kriegsfilm auf einem unbekannten englischsprachigen sender. (die gezeigte gewalt verschafft eine gewisse erleichterung, weswegen dann schäm dich und schuld).
beschluss: keine nachrichten mehr im fernsehen. provisorisch oder definitiv?.
nur noch: das paarungsverhalten sämtlicher tierarten auf sämtlichen kontinenten, weswegen auch prärien, savannen, karste, wälder, darunter verbleibende ur- und bergwelten, reisesehnsüchte mitten hinein in die menschlichen verwüstungen und hoffnungsvollen fälle eines anderen umgangs mit tieren und bäumen undundund.
der garten tut so, als sei alles normal. eine amsel dekoriert das feine geäst der birken und sturzflug, weg getaucht. in der ferne tritt der waldrand aus dem nebel , darüber ein leuchten.
gestern bin ich dort gegangen, à un rhythme soutenu, brauchte eine halbe stunde, um die unruhe loszuwerden, das innere maulen und aufbegehren verwandelte sich in eine schon lange nicht mehr gekannte festigkeit. gespräch mit jemand ohne worte. das gefühl von allen guten geistern umgeben zu sein. leichter nieselregen zur bestätigung.
warum sowas aufschreiben, es ist doch völlig nutzlos.
am besten, man bleibt im banalen, normalen, man übersieht es gerne. zum beispiel die farbigen blätter vor der tür, die vereinte birkenkrone selbdritt, kahl, aber eigen, ein feines geflecht und gestrichel, elegant und sofort überzeugend.
man hält am besten den mund, wenn das geschrei zunimmt. (wer sagt das?)
gäbe es eine stampede zum beispiel, würde man sich zur seite ziehen, das versteht sich von selber. aber nun in zeiten einer kollektiven psychose, wie einige diagnostizieren, was tut man am besten da.
man liest gedichte, naturbeschreibungen, man studiert, man rätselt über seele, man detektiert synchronizitäten, man meditiert. es ist eine besondere erfahrung, wenn alle ängste und sorgen kurz zu besuch kommen, manche etwas monstruös ausstaffiert, andere schmeichelnd, aufmerksamkeit heischend, und man selber, mitten drin, ein beobachter. impassible.
in der krise merkt man meist sofort, dass man nicht gerüstet ist, dass man nicht rechtzeitig anstalten dazu gemacht hat, und nun, unter erschwerenden bedingungen, ist es keineswegs selbstverständlich gelassen zu bleiben.
kein zorn, keine resignation, sondern: gelassenheit, gleichmut.
heute morgen hüllt einen der nebel ein. mitfühlend, hellgrau, fast weiss und still.
in der nachbarschaft scheucht jemand die blätter knatternd vor sich her und bläst sie auf einen haufen.
gegen kollektive psychosen hilft was? kontextualisierung? rationalität gegen irrationale anfälle?
eine weltbrille gegen selbstbezogene sichtbehinderung?
wenn jemand fragen stellt (online irgendwo), lese ich gerne die kommentare darunter, sie zeugen immer öfter von einer leisen oder lauten hysterie. hier kann man nicht helfen, denke ich sofort, dagegen ist kein kraut gewachsen.
wir (alle?) scheinen vergessen zu haben, was in unserem (planetaren) rundherum vor sich geht. sehen wir noch (weit), denken wir noch (gründlich)? sind fragen gefährlich geworden, zweifel verwerflich? schon gefährdung der volksgesundheit?
(„wir“: kein rhetorischer trick, der den schreiber ausnimmt.)
das licht wird kräftiger, die weisse wand leuchtet, die übernächsten häuser tauchen auf, im radio reden sie noch immer.
november farbskala: von gelb, grün zu gelbgrün und rostbraun, orange , in den übergängen hartnäckiges grasgrün, weisses und schwarzes an stämmen in einem verwischten licht. die blätterblasmaschine schweigt.
der café ist kalt geworden.
als ich vom schreiben aufblicke, hat das licht abgenommen, der nebel ist ins graue vor gerückt und die blättermaschine knattert wieder.
beim lesen ist mir der folgende satz untergekommen:
„Auf halbem Weg zwischen Glaube und Kritik liegt die Herberge zur Vernunft. die Vernunft ist der Glaube an etwas, das man ohne Glauben verstehen kann, doch bleibt es noch immer ein Glaube, denn verstehen setzt voraus, dass es etwas Verstehbares gibt.“ (Buch der Unruhe, 182)
manchmal rüttelt die welt an meinem glauben.
oder so? (einen tag früher)
Am besten, man liest gedichte
leicht beunruhigt schaut man in den garten. retour: es gibt kein stabiles bild vor dem fenster, an dem ich sitze, und selbst auf dem tisch, an dem ich schreibe, verschiebt sich die unordnung jeden tag.
entblätterung, aber auch offenbarung von feinen verästelten strukturen an birken, selbdritt, die nach unten hin deutlicher werden, strammer und schliesslich, aber dazu muss ich aufstehn, sich zeigen als drei weisse stämme, wogegen sonst, rundherum, alles dunkler ist, aber nicht weniger reizvoll. letzte blätterresistenz.
„grammar is back“, tweetet jemand.
man schwankt zwischen grauer hoffnungslosigkeit und leuchtender zuversicht, versucht schon morgens die balance zum helleren hin zu verändern, stellt schon beim erwachen einige fragen, beantwortet sie beim ersten café, bei der feststellung, der himmel ist tatsächlich blau, am horizont lungern wolkenschwaden herum, ein rabe fliegt durch die szenerie, von unten radiogeräusche.
jemand erinnert daran, dass es noch andere gesichtspunkte gibt, als geld in einen wahlkampf zu pumpen.
ein marienkäfer wuselt auf gewundenenen wegen über die fensterscheibe. bleibt stehen, dreht sich im kreise.
so ebenfalls ich: orientierung und keine wegzeichen.
man stellt sich einen lesewinter vor, aber es gibt fragezeichen.
jemand redet von „psychose collective“.
natürlich kann man jederzeit vom rand rutschen, aber …
die ersten anzeichen, ja, die seriösen symptome einer collectiven psychose sind unübersehbar.
wenn man mich fragen würde (man tut es nicht), was die basis unserer (ja, unserer oder?) kultur ist, dann würde ich antworten, jedenfalls ist es das recht ungehindert zu fragen. und an einigen stellen bekommt man den eindruck, dass genau dies, das ungehinderte fragen schon als gefährdung der volksgesundheit angesehen wird.
inzwischen hat die wolkendecke sich ausgebreitet, schäfchenhafte formationen, gerundet und grau betupft, sonst leuchtend, streifiger gegen den horizont, aber auch blau, zaghaft. das gestrichel der vereinheitlichten birkenkrone leicht bewegt und elegant, keineswegs kahl. der herbst ist eben kein mangel an, nicht nur ein ent-, sondern ein eigenes, um nicht zu sagen eine offenbarung.
aber keineswegs beruhigt ob des obigen statements. (bei einer stampede zieht man sich am besten zur seite an einen sicheren ort oder?).
aufstehen, langsam, herum gehen, zeitlupig: das blätterwunder vor der tür (noch).
alles ein bisschen entblättert bei der rückkehr von der reise, die am zweiten october begann und zwischen hier und dort fast welten. nicht nur, dass dort die sonne schien, meistens, das licht die dinge belebte und die menschen selbst in ein besseres licht rückte, nicht nur, dass die häuser älter und reizvoller waren, selbst noch im verfall und die plätze von einem unvergleichlichen gefühl für proportionen und formen zeugten, nein, der ton war am zweiten noch anders als am 28. october, als man schon unterwegs war, weil sehr stark vermutet wurde, es werde gleich dicht gemacht.
der ton: als sei es „nur“ eine frage von milliarden.
ich gehe nicht in die details, das sujet ist bekannt, überbekannt. ich stelle auch nicht nochmal bedauernd fest, dass die polarisierung (überall) zunimmt, die gräben breiter werden und dass das gastland in der tourmente ist.
das ist im angesicht der vielfältigen landschaften gar nicht verständlich.
die erinnerung an einen café am marché aux fleurs an einem sonnigen samstag. und ein paar tage darauf eine tragödie.
jemand macht sich in einer literaturzeitschrift über eine verflossene „neue innerlichkeit“ lustig und bei mir entsteht der eindruck, genau dahin drängt nun alles, in eine neuneue innerlichkeit und , meinetwegen, ein neobiedermeier, aber bitte ohne biederleute, denn einige fühlen sich nun aus allerhand gründen berufen den blockwart zu geben und an allerhöchster stelle wird über „schwarze schafe“ diskuriert, die wohl im bunde mit dem virus ihr unwesen treiben.
die zeichen stehen auf sehr vereinfachte weltbilder, keine nuancen bitte, keine differenzierungen sowieso, vor allem nichts mehrdeutig schwimmendes, nein eindeutigkeit, und bitte keine humorvollen subtilitäten und keine ironie auch. denn: wir haben den sinn dafür ganz verloren.
ich gestehe: ich habe mir die interventions 2020 des Michel Houellebecq zu gemüte geführt – ich weiss, ich weiss, es gibt inzwischen genügend leute, denen die nennung eines namens genügt, um zu wissen, was im nicht gelesenen buche steht. als er feststellt, dass wir doch eine sehr „bescheidene“ zivilisation sind, wie sich an der hiesigen „architecture modeste“ zeigt, modeste im erweiterten sinne von: médiocre, un peu pauvre, insignifiant, eher simplistisch, einfach gestrickt, beschränkt , kann ich mir ein zustimmendes nicken nicht verkneifen, fast malgré moi.
mich hat eine passage aus einem essay von 1992 besonders beeindruckt, weil sie genau beschreibt, was ich auf der reise gleich zu beginn (zuerst in den Vogesen, danach aber vor allem in diesem hameau der Dordogne erfahren habe, nämlich allem (allem!) den rücken kehren zu wollen, weil die landschaft genau das ausdrückte, nämlich dass sie allem den rücken kehrte, dass sie in ihrer stille und bewegungslosigkeit eine einzige abkehr war, eine erlebte neoneueinnerlichkeit als aussen und im aussen. etwas war weg und der wunsch wuchs, dies zu einem endgültigen zustand zu machen, in den worten Houllebecq’s:
„Chaque individu est cependant en mesure de produire en lui-même und sorte de révolution froide, en se plaçant pour un instant en dehors du flux informatif-publicitaire. C’est très facile à faire; il n’a même jamais été aussi simple qu’aujourd’hui de se placer par rapport au monde, dans une position esthétique: il suffit de faire un pas de côté. et ce pas lui-même, en dernière instance, est inutile. Il suffit de marquer un temps d’arrêt; d’éteindre la radio, de débrancher la télévision; de ne plus rien acheter, de ne plus rien désirer acheter. Il suffit de ne plus participer, de ne plus savoir; de suspendre temporairement toute activité mentale. Il suffit, littéralement, de s’immobiliser pendant quelques secondes;“ (S. 43f.)
dabei war es bei mir, wenigstens während der ersten tage in dem kleinen hameau der südöstliche ecke des Périgord noch ein innerliches rennen, ein flüchten als körperliche sensation, nicht nur in den beinen, als sei ich noch nicht angekommen in dieser landschaft, in der gar nichts passierte, alle sieben stunden bellte ein hund, alle fünf fuhr ein auto vorbei, vögel zwitscherten ja, hunde streunten, ja, aber sonst passierte gar nichts, es war ruhig und still, während ich noch immer weg wollte. während die landschaft mir einflüsterte, ich will weg, ich will der sache den rücken kehren. sie war genau das, eine einzige abkehr.
hier hielt ich es gar nicht so abwegig, zum zeichen des protests Mörikenhaft lampen anzudichten (O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!) oder moose an burgmauern und kunstvoll skulptierten buchs oder pflasterwege und nussbäume oder flüsschen, die auf den namen Ceu hören oder die bewegungslose stille und in dieser stille ein hundebellen, eine stimme auf der strasse, aber nur jeden zweiten tag während drei sekunden.
selbst in den bergen am meer blieb es so, dort war jedes kleine geräusch eine tonskulptur, die aus der stille trat. und die menschen humorvoll und freundlich und selbst der verlotterte platz von Sospel ein wunder an ästhetischer perfektion.
deshalb die erfahrung bei der rückkehr, das bedrängende gefühl, beim eintauchen in die strassen der stadt, einer barbarischen entgleisung.
demnach neobiedermeierliche meditation vor den gartenfarben, dem langsamen entblättern.
sturz in den herbst, selbstporträt als cake aux oranges. das ist nicht sehr originell, von Elfriede Gerstl „Selbstporträt als Zitrone“. man ist, was man gerade wahrnimmt, also den geschmack des cakes auf der zunge, herbstgärtliches, unregelmässiges geklopfe auf dem dach, fallendes blatt, meist gelblich, ich bin auch kein anderer, sondern expresso aus dekorierter tasse oder eben cake mit stückchen von oranges confites, wie gerupfte birken auch und temperatursturz mit avis contraires (zur pandemie, von epidemiologen, maskiert/unmaskiert).
kein wunder, wenn man dann die augen schliesst und die ohren verstopft , bleibt man seltsam leer.
gestern noch kam ich mir in meiner verdutztheit als alter bekannter entgegen, leicht irritiert, weil ich maskierte nicht sogleich identifizieren kann. die leichte verwirrung um unsere begegnung herum beschrieb sehr genau meinen inneren zustand beim betrachten der collagen an den wänden. was will man mehr, sagte ich mir zum trost, wenn man beim betrachten von kunst fragezeichen erlebt, gross, fett gedruckt und nicht kursiv.
und wenn wir schon dabei sind, wenn man sagt, ich ist eine vielheit, wer stellt dann die vielheit fest und wer garantiert den müheslosen übergang von einer figur zur andern und wer fühlt sich nicht etwas überfordert bei so vielen.
der weichensteller (von einem ich-fragment zum nächsten und zurück oder weiter zum übernächsten) und ein anderer, der ich-beoabachter?
was treibt uns voran? von einem (ich) zum nächsten (ich). ist unser blick friedlich, liebend oder von vorneherein als unser geschichtlich und aktuell bestimmter blick aggressiv, erobernd, abschätzend (wieviel kubikmeter wozu verwertbares holz etwa), witternd verwertend (wozu können daten verwendet werden, zur voraussage von verhalten oder zur optimierung von gesichtserkennung, wieviel kapital lässt sich woraus schlagen) gewalttätig, kolonisierend, unterwerfend. und in solchem schauen (eher: blicken) schon die entsprechende tat, schon das bild des vorwärts schnellens.
am besten keine schneise durch den garten schlagen, allerhöchstens den rasen umgraben, um rosen zu pflanzen.
der herbst ergreift einen, sickert ein. man sucht sich instinktiv zu versichern, dass der stapel an büchern reicht, für alle fälle.
die frau hat mich vielleicht irritiert, psychologin ihres zeichens, es gäbe etwa für wut keine kulturell invariante körperliche entsprechung, diese variiere eben, gefühle seien kulturell konstruiert. was da sei, invariant: eine skala von erregungszuständen von kaum bis sehr und eine zweite von sehr angenehm zu sehr unangenehm. wir seien daann eben gewOhnt etiketten darauf zu kleben, was die erregung kulturell in eine bestimmte (blick) richtung lenke, etwa die aufregung vor einer prüfung zu angst vor versagen oder im gegenteil zu stärkerer fokussierung und aufmerksamkeit.
man könnte daraus einen gewissen freiheitsraum erschliessen.
dass wörter keine neutrale wirkung haben, wenn man sie auf einen gemütszustand bezieht ist klar. oder? man kann sich selber mit wörtern ordentlich reinreiten. sage ich mir.
was das zu tun hat mit dem thema? (thema?) die oben angedeutete ich-verwirrung, leichte erregung, etwas unangenehm, regt an, verwirrt produktiv oder bringt einen so durcheinander, dass man an sich verzweifelt, wer auch immer das ist. und das ist es ja. wer ist das, mit dem man da täglich zusammen lebt. seltsame entzweiung.
jemand sagt, das subjekt jeder perzeption in jedem menschen sei die welt, die sich selber wahrnimmt, wenn Meyer, Müller und Schmitt das nicht wüssten, so liege es daran, dass sie andere daseinssorgen hätten.
warum beruhigt so ein gedanke meine verwirrung.
entlastung vom ich.
alles geklaut (ich gebs ja sofort zu) oder inspiriert von: ElfriedeGerstl, Klaus Theweleit, Karl Ballmer (die passen nun gar nicht zusammen) und dem anblick des herbstgartens mit cake à l’orange und expresso, auch von gesichtern im netz, redend (von: covid und nichts anderem und noch mehr davon, widersprüchlich, natürlich).
interessant, wie ein kleiner zwischenfall einen aus dem gleis haut. ich bin mit dem linken fuss beim letzten treppenabsatz in den garten (während ich telefonierte und meine vierjährige enkelin kommentierte, „endlich rufst du sie an“, kurz vorher hatte sie entschieden erklärt, „ich bin gar nicht dumm, ich bin ziemlich schlau.“) ,zack, umgeknickt und zuerst hats nur ein wenig geschmerzt, aber zwei stunden später konnte ich kaum noch auftreten (in der nacht keine schmerzen, also alles nur halb so wild, habe ich gedacht, während ich schlaflos wälzte und natürlich der chaotische angriff aller möglichen sorgen, flankiert vom ringen um die contenance, negation der negation).
alles nur halb so wild, dachte ich beim ersten augenaufschlag, aber dann spüre ich schon die erschütterung, sie steigt aus dem ganzen körper auf und hat längst gefühl und bewusstsein besetzt, ich stehe, obwohl gar nicht viel passiert ist, neben allem und bin befremdet, verstört könnte ich auch sagen, während ich gestern noch die selbstverordnete ruhe genoss, um die Hegel biografie zu ende zu lesen, als sei das ein krimi. (ist auch einer und die protagonisten: geist und begriff). dabei ist meine Hegel kenntnis äusserst bescheiden, um nicht zu sagen inexistent.
gestern hat die lektüre mich gehalten, aber heute fühle ich mich wie aus der welt gefallen, durchgewalkt, verunsichert, um mein vertrauen betrogen. zwischen seelisch-geistigem und körperlichem nicht der geringste gegensatz. also wacklig, in jeder hinsicht.
als sei ich mitten in den herbst gepurzelt, ohne übergang und alles verschmiert grau und der garten leblos.
die fassung ist weg, der café überhaupt noch kein trost. ich lese bei Sun Tzu über direkten und indirekten angriff und komme zum schluss, der direkte ist eine klare sache und trifft (noch nicht wirklich), aber in der nacht, indirekte attacken und hinterhalt und morgens eben wie geschüttelt und wie umgerührt ebenfalls. ausgesetzt.
der erste café, wie zum beweis fade, berührt mich nicht.
dann erst, langsam, sehe ich den helleren streifen am horizont, höre stimmen aus den gärten und das rauschen und hämmern von der nahen baustelle und als sei die ganze szenerie aufgewacht, aufgetaut, schnippelt der nachbar eifrig, hingegeben an rosensträuchern und ich hole humpelnd, versteht sich, noch einen café.
aber normal ist alles noch längst nicht.
man geht dann sehr vorsichtig, schaut sich um, als sehe man alles (alles!) zum ersten mal und man ist nicht begeistert, sondern sehr unangenehm berührt, als sei etwas unwiederbringlich dahin. und die melancholie schwappt über.
ablenkungen? pah! schon lange habe ich keine solche lust mehr verspürt mich wach zu halten, vertrackte lektüren zu pflegen (danach, nach dem Hegel buch von Jürgen Taube, Slavoj Zizeks « Hegel im verdrahteten Gehirn », obwohl oder gerade, weil ich den verriss gelesen habe). mich erinnert die prozedur an den Freiherrn, der sich am eigenen zopf oder geist aus dem sumpf gezogen hat.
denn wo, wenn nicht in der republik des geistes, aber kontrovers, durchaus, und gegensätzlich, ist noch eine paradoxe gewissheit und also sicherheit gewährleistet, denn hier betreibt man die verunsicherung selber, man setzt sich freiwillig aus, man erschüttert sich mit lust und die erfahrung, sie heisst „wird erschüttert“, ist nicht bloss fremde einwirkung , sondern von mir selber in bewegung gesetzt.
so räsoniere ich beim dritten café und nun schon belebter.
rosa streifen auf grau, gegen sechs, dunkelgrau getupft am horizont, östlich natürlich, breitet sich nach westen aus, triumphal, der tag ist frisch, nicht einmal ein windhauch, aber rauschen, ununterbrochen, ein ferner strom, reisst nicht ab. erster café, auf den zehenspitzen geholt. das haus schläft noch. gegen halbsieben ist nur der himmel bewegt, der garten wie erstarrt, grüner stillstand.
ein flugzeug zieht eine gerade linie durch den horizontstreifen, den weisslichen aufstrich im wolken sandwich. manchmal schwillt das rauschen an, wird fast ein dröhnen. selbst das wolkengrau wirkt dunkel eingeblaut morgens gegen sieben und in der ferne rauscht es, anhaltend, nachdrücklich, wellenförmig. am horizont und in den wolkentupfern andeutungen von gelb.
wohin fahren sie nur alle. aber klar, sie sind unterwegs to make a living. oder fahren sie weg, kommen sie zurück.
noch ist august, der sonderbarste seit langem, noch ist alles zwischen klammern, zwischen anführungszeichen, aber wie auf dem sprung schon.
es ist windstill, das fällt plötzlich auf, nach dem reissen und anrennen der letzten tage, etwas verstörend.
und es regnet noch immer nicht, fast ist regen schon eine ferne fantasie und noch reden die wolken nicht einmal andeutungsweise davon.
an café terrassen ecken fallen menschen plötzlich um und bluten. abends liest man, wie der Schwitters langsam verlöscht.
Odilon Redon hat himmel gemalt wie den eben entstandenen und mitten hinein fährt ein sehr hell ausgeleuchteter kondenstreifen.
gestern abend eine kurze gesprächsrunde über wirtschaft, so kurz, dass die beteiligten sehr schnell reden, sich verhaspeln und wörter verschlucken, relance, croissance, chômage, épargne, état, consommation, eine wirtschaft ganz in klammern und akkoladen gesetzt, ganz für sich, wie eh und je, ganz abgeschottet vom rest, als rede man über den mond, so fern (und doch so nah), so kühl auch. während der debatte vergesse ich den redeinhalt und schaue in gesichter, versuche darin zu lesen, chômage, relance, consommation.
inzwischen hat der tag sich etabliert, kiwitt im garten, rauschen wie gehabt, hell beleuchtete wolken, gelb auf blau wie rauch und schwaden.
der café ist kalt geworden, ich denke ans exil des Schwitters, nach dem krieg bleibt er da, zieht aufs land und ist ins brauchen eingeklemmt, ewig klamm und knapp, aber aktiv in seiner letzten MERZ barn.
eine erste taube gurrt, spatzenzwitschern, elsterkeckern auf rauschen, nun blasst der himmel sich ein, aber sonne auf birken, deren köpfe etwas müde hängen.
ein dachfirst wippt elstern.
wer war Abraham Lincoln?
gegen viertel vor acht sieht es dann fast nach regen aus, beim aufblicken staunen, eben noch, aber nun, dunkelgraues auf hellgrau, erinnert an regen, fast, wie schnell der himmel sich ändert, kaum, und schon. der garten bewegt sich nicht, manchmal ein tschilpen auf rauschen, wie gehabt.
etwas ratlos sitze ich da, erfinde mir sorgen, etwas ist mit seinem latein am ende, anglerlatein, jägerlatein. nein, ein traum von einem blog über latein, aber was, view, nicht edit.
Schwitters arbeitet in der MERZ barn, wenn er nicht im abfall stöbert, ich habe im Schwitters zurück geblättert, denn gelegentlich eile ich vor, ich weiss nicht warum, vielleicht weil ich den stillstand fürchte, das ende, so nehme ich es vorweg, die MERZ wand wird aus der scheune gelöst, verfrachtet und … ich, ich bLätter, wie gesagt, zurück und Schwitters arbeitet noch immer an seiner wand.
die regenhoffnung ist wieder verflogen, eine elster, weisschwarz, landet elegant auf dem baum überm futterplatz und huscht nun, ein lautloser schatten, an die tränke.
eine baustelle wacht auf.
kann nicht jemand das rauschen abstellen.
es wird zeit für einen zweiten café.
im garten sitzt man kühl.
Ulrike Draesner, Schwitters. das bleibt die nächsten tage so, vor blättern und wieder zurück in der Schwitters welt.
ein paar grosse wattebäusche im blau, die hitze steht, der schatten kühlt nicht, manchmal die halluzination einer brise. keine bewegung, einmal huscht ein spatz zur tränke, manchmal taubenflattern in einer baumkrone, aus dem kopfhörer moon duo, killing time.
ich sollte, ja, ich sollte und daran scheitert der gedanke, an diesem einen wort, erstickt im keime oder so: alles rebelliert, kein sollen, allerhöchstens wechselt ein arm die position, ein bein rutscht ein paar zentimeter nach rechts, ein fuss scheint einmal fast zu wackeln, ein halb geschlossenes auge blinzelt auf rote blumenstrahlen, das ist fast schon zu mühsam, fast schon zuviel, dösen, ripples verscheucht alle gedanken. eine kleine wespe läuft emsig über einen arm, ripples. eine hand greift nach einem glas, ein mund öffnet sich leicht, trinken, schlucken.
im blau hängen wattebäusche. die wetterapp sagt 34 gefühlt 37. niemand kommentiert. niemand denkt, dass es einfach zu heiss ist.
einer geht mit nackten füssen durch nasses gras, lächelt, leichter regen, einer schaut ins grau, nässe auf dem gesicht. das ist wie ein anderes, früheres leben.
noch immer ripples. imaginierte kühle schatten, wasserflächen an waldsäumen, keine nachrichten bitte, keine lifestyle propaganda.
viel später, da scheint es tatsäachlich kühler zu werden, fragt man sich, welche wesen wohl resistenter sind, visionen von cacteengärten, gewächsen an steinen, eidechsen, moosen und flechten, palmen.
eine taube gurrt, rabenscharen fliegen hoch am himmel in südöstlicher richtung, eine fledermaus blitzt schwarz vorbei, da ist es fast schon dunkel.